Gewalt
Die Serie "Braune Kinderzimmer" im Magazin "Stern" Startseite Topmeldung

Rechte Straftaten und rechtes Gedankengut nehmen zu. Auch an den Schulen!

Das Magazin Stern recherchierte im Umfeld einer jugendlichen rechten Terrorgruppe. Frank Hortig, Schulleiter und Leiter der Abteilung Berufswissenschaft des BLLV Schwaben, sprach mit dem Stern über rechte Tendenzen an den Schulen.

Der Stern recherchierte über Monate in rechten Terrorgruppen, in denen sich Kinder und Jugendliche radikalisieren – und teils Anschläge vorbereiteten oder besprachen. Die Ergebnisse hat das Magazin unter anderem in der Reportagereihe “Braune Kindferzimmer” aber auch als Doku auf Video veröffenlicht. Im Rahmen der Recherche wurden Anschlagspläne sowie mutmaßliche schwere Straftaten aufgedeckt. Die Serie wirft aber auch einen erschreckenden Blick auf eine rechte Jugendkultur mit ihrer Musik, ihren Beziehungen und ihrem Alltag - auch an den Schulen. Da geht es um Kleidung von Thor Steinar oder Shirts mit einem Wehrmachtssoldaten und der Aufschrift: "Ruhm und Ehre den deutschen Soldaten".

Frank Hortig, Schulleiter und Leiter der Abteilung Berufswissenschaft des BLLV Schwaben, sprach mit dem Magazin zur aktuellen Situation. Ausgangspunkt war für den Stern die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten an den Schulen, die sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt habe. Diese Zahlen gehen zurück auf eine eigene Abfrage des „Stern“ unter den Landeskriminalämtern der Bundesländer, wie unter anderem auch der Deutschlandfunk berichtete. 

Zu den Straftaten und rechts geprägten Ereignissen zählen laut Stern beispielsweise Schüler, die beim Abiball den Arm zum Hitlergruß hochrecken oder beim Besuch in einer KZ-Gedenkstätte “Ausländer raus” grölen. Dazu kommen menschenverachtende Chat-Inhalte und Hakenkreuze an Toilettenwänden. 

“Die rechte Gesinnung umspült die Kinder”

"Der Migrationsanteil an unserer Schule liegt bei rund 70 bis 80 Prozent. Gleichzeitig würden 40 Prozent meiner Schüler AfD wählen. Das haben wir in einer Probewahl erhoben. Mich macht das stutzig. Und es zeigt mir deutlich: Der typische AfD-Wähler ist nicht klischeehaft braun und urdeutsch. 

Frage ich meine Schüler, warum sie AfD wählen würden, antworten viele: 'Finde ich einfach cool und witzig.' Da steckt oft gar nicht mehr dahinter. Gefestigt und bekennend rechtsextrem ist bei uns fast keiner, denke ich. Die rechte Gesinnung umspült die Schüler, aber ist noch nicht verhärtet. 

Die rechten Tendenzen wachsen und wachsen. Wir brauchen im Alltag sehr feine Antennen. Die wenigsten Schüler, die demokratiefeindliches Gedankengut in sich tragen, zeigen im Schulflur den Hitlergruß. Unsere Klos sind auch nicht voll mit Hakenkreuzen. Das läuft subtiler. Etwa, wenn wir über aktuelle Themen diskutieren. Die Schüler zitieren sehr viel das Parteiprogramm der AfD aus den sozialen Medien. Andere Parteien finden in deren Algorithmus kaum statt. Einer sagte mir vor Kurzem: 'Von den Grünen kriegt man auf Tiktok ja gar nichts mit.' So ergibt sich die Themenauswahl. 

Lehrer erzählen mir, dass der Beruf immer belastender wird. Sie kommen zu mir und sorgen sich, dass wir der rechten Entwicklung irgendwann nicht mehr Herr werden. Mit großem Aufwand haben wir es gerade noch im Griff: mit Prävention, Projekten und drei Sozialarbeitern, außerdem bieten wir Ganztagsbetreuung an. So können wir auch Schüler aus schwierigen Elternhäusern erreichen. Wir versuchen, dagegenzuhalten. Die Zahl der Schüler, die AfD wählen würde, verringern wir damit aber nicht", so Frank Hortig im Stern. 

“White Power” Zeichen und Hitlegruß als Schulalltag?

In den Artikeln des Stern zum Thema kommen weitere Schüler:innen und Lehrkräfte zu Wort, die den Eindruck bestätigen. Sie kommen aus Brandenburg und Sachsen, aber auch aus Bayern. Sie berichten von ähnlichen Vorfällen, aber auch von Resignation - beispielsweise davon, dass Hakenkreuzschmierereien früher noch entfernt worden wären, sich aber inzwischen niemand mehr darum kümmere. Und sie berichten, dass auch viele Lehrkräfte inzwischen resigniert hätten, oder auch selbst mit dem rechten Gedankengut sympathisieren.

Aber bei Weitem nicht alle haben resigniert. Ein Berufsschullehrer berichtet beispielsweise von der Aktionswoche gegen Extremismus, die er organisiert hat - mit Workshops für die klassen und das Kollegium. Dass einige Jugendliche das klar ablehnten, wurde dabei aber auch ihm klar. 

Die Schülerin einer anderen Schule berichtet im Stern von offen ausgesprochenem Hass und Ausgrenzung gegen Juden, Ausländer, Homosexuelle und Behinderte. Solche Fälle und die Stimmen die davon berichten gibt es leider sehr viele in der Reportagereihe. Und die Lehrkräfte beobachten, dass die Elternhäuser - falls nicht selbst schon rechts geprägt - sich oft raushalten, während rechte Jugendorganisationen dagegen oft sehr aktiv sind. Eine Lehrerin aus Brandenburg berichtet aber auch, wie man dagegenhalten kann. Die jungen Leute hätten oft ein sehr begrenztes Wissen, das vor allem von TikTok und anderen Medien stamme, die Inhalte sehr vereinfachen. Als die Schule aber kürzlich die Holocaust-Überlebende Renate Aris an die Schule eingeladen hatte, seien die Jugendlichen angerührt und begeistert gewesen - vor allem über die positive Energie die Aris trotz ihrer schlimmen Erlebnisse ausstrahlte. Die Lehrerin betonte aber auch, dass es in Brandenburg dafür an der politischen Unterstützung fehle. Bildungspolitik tauche in keinem Wahlprogramm mehr auf.

Wir dürfen nicht aufgeben! Wir dürfen nicht stumm werden!

Auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann stellt einen Trend zu rechtsextremen Aussagen von Schülerinnen und Schülern fest und bemerkt, dass der Ton zunehmend rauer wird. Sie betont aber auch, dass sich Lehrerinnen und Lehrer nicht entmutigen lassen dürfen und die Aufgabe haben, Kinder und Jugendliche zu Demokratinnen und Demokraten zu erziehen: "Mit unserem Manifest ‘Haltung zählt’ haben wir uns klar zu einer weltoffenen Gesellschaft und einer demokratischen Grundordnung bekannt - gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung. Dem sind wir verpflichtet und dem stellen wir uns mit Mut und Haltung. 

Es ist schwerer geworden diese Werte zu vertreten, aber es war auch noch nie so wichtig wie jetzt, dafür klar und sichtbar einzustehen. Wir dürfen nicht stumm werden! Wir können uns das als Menschen und als Gesellschaft nicht leisten. Die Schule ist der Ort, wo alle irgendwann einmal hingehen und wo wir auf alle Kinder und Jugendlichen Einfluss nehmen können, auch wenn das Elternhaus versagt, wenn rechte Gruppen ihren Einfluss ausweiten oder andere gesellschaftliche Institutionen nicht mehr herankommen an die Kinder. Wir können sie erreichen. Deshalb müssen wir Vorbilder sein, Alternativen aufzeigen, Menschlikeit leben und Demokratie gemeinsam einüber: emotional, offen und dialogisch!