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Besuch der Abteilung Schul- und Bildungspolitik (ASB) an der Eichendorffschule Erlangen Startseite
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Eine Mittelschule macht sich für mehr Bildungsgerechtigkeit stark

2023 wurde die Eichendorffschule in Erlangen mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Die ASB des BLLV mit Leiterin Sabine Bösl hatte die Gelegenheit, diese wegweisende Mittelschule zu besuchen und sich ein Bild von ihrem Konzept zu machen.

Bericht von Maximilian Wopinski & Sabine Bösl

Die Eichendorffschule gehört zu den wenigen voll gebundenen Ganztagsschulen in Bayern. Hier verbringen alle Schülerinnen und Schüler mindestens drei Tage pro Woche sieben Stunden in der Schule. Nicht alle Kinder erhalten zu Hause die gleiche Unterstützung, soziale Unterschiede können so besser ausgeglichen werden.

Der Unterricht ist durchdacht rhythmisiert, und musische sowie kreative Angebote sind fest integriert. Sie dienen nicht nur der Auflockerung, sondern leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem ganzheitlichen Bildungsansatz, der über die klassischen Kernfächer hinausgeht.

Integrativ und nicht segregierend

Die Schülerschaft der Eichendorffschule zeichnet sich durch eine hohe Diversität aus: Fast 70 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund, und 35 Prozent der Eltern beziehen Transferleistungen. Doch für Schulleiter Helmut Klemm greifen Kategorien wie „Migration“ und „Armut“ zu kurz. Religion, familiäre Verhältnisse, kulturelle Werte, Sprachen sowie individuelle Stärken und Schwächen prägen die Lebensrealitäten der Kinder.

„Wir müssen integrativ denken, nicht segregierend“, betont Klemm. Schubladendenken und Normierung werden der Diversität der Schülerinnen und Schüler nicht gerecht.

Vom Außenseiter zur Vorzeigeschule

Die Transformation der Eichendorffschule begann 2015 mit der Umstellung auf den Ganztagsbetrieb. Damals galt die Schule als „Asi-Schule“, wie Klemm auf einem Elternabend hörte, was den Start seines Veränderungsprozesses prägte. Heute ist die Schule ein Modell für Bildungsgerechtigkeit und Eigenverantwortung. Viele Kinder wechseln nach der 4. Klasse - bedingt durch das bayerische Übertrittsverfahren - mit negativen Lernerfahrungen an die Mittelschule. Die Eichendorffschule legt wie viele Mittelschulen besonderen Wert darauf, diesen Kindern die Freude am Lernen zurückzugeben und ihr Selbstvertrauen zu stärken.

Individualisiertes Lernen: Selbstständigkeit fördern

Ein zentrales Element der Eichendorffschule sind die Lernbüros in Mathematik, Deutsch und Englisch. Hier arbeiten die Schülerinnen und Schüler klassenübergreifend in ihrem eigenen Tempo, dokumentieren ihren Fortschritt im Logbuch und nutzen Materialien in drei Schwierigkeitsstufen.

Anstelle von Leistungsklassen wie dem M-Zug setzt die Schule auf Differenzierung durch Material und eigenverantwortliches Lernen. Tests werden geschrieben, wenn Schüler und Lehrkraft gemeinsam den richtigen Zeitpunkt bestimmen. Dieses Konzept der „flexiblen Ausgangsstufe“ ermöglicht Abschlüsse wie den Qualifizierenden Abschluss oder die Mittlere Reife in individuellem Tempo.


Lehrkräfte als Coaches: Unterstützung statt Frontalunterricht

Die Rolle der Lehrkräfte hat sich an der Eichendorffschule grundlegend verändert. Sie agieren meist nicht als klassische Vortragende, sondern als Begleiter und Coaches, die punktgenau und individuell unterstützen. In den Lernbüros stehen sie und weitere multiprofessionelle Kräfte zur Verfügung, wenn Mitschülerinnen oder -schüler nicht weiterhelfen können.  Die Schule lebt eine konsequente Lernbegleitung.

Dieser Ansatz ermöglicht eine differenzierte und bedarfsorientierte Förderung, die die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler stärkt.

Pädagogische Beziehungsarbeit statt Schulordnung

Die Eichendorffschule verzichtet auf eine traditionelle Schulhausordnung. Statt starrer Regeln setzt die Schule auf individuelle Verantwortung und den Aufbau tragfähiger Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. In schwierigen Situationen wird der Dialog gesucht, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Dieser Ansatz fördert aus Sicht der Schule Einsicht und stärkt das Bewusstsein für persönliche Verantwortung.

Unterstützt wird dieses Konzept durch Kooperationen mit Organisationen wie ChangeWriters e.V. und KICKFAIR e.V., die wertvolle Impulse für die pädagogische Arbeit liefern.

Gemeinsame Vision: Partizipation und flache Hierarchien

Das Motto „Ich. Du. Wir. Gemeinsam.“ prägt die Schulkultur der Eichendorffschule und spiegelt sich in flachen Hierarchien und der Partizipation des Kollegiums wider, die den Wandel der Schule ermöglicht haben.

Ein zentraler Baustein ist eine digitale Plattform, auf der Materialien und Konzepte geteilt werden. Schülerinnen und Schüler greifen mit individuellen Zugangsdaten darauf zu, was eine flexible Lernorganisation erlaubt. Gleichzeitig fördert diese Plattform die Deprivatisierung des Unterrichts: Lehrkräfte arbeiten nicht mehr isoliert, sondern teilen und entwickeln Materialien gemeinsam.

Hospitationen und Austausch innerhalb des Kollegiums sowie mit anderen Schulen fördern Teamarbeit und kontinuierliche Weiterentwicklung von Unterricht und Konzepten.

Mut zur Veränderung trotz Widerständen

Schulleiter Klemm beschreibt, dass die Transformation der Schule nicht ohne Hürden verlief.

Die Frage, ob Mittelschülerinnen und -schüler in der Lage sind, selbstgesteuert zu lernen, begegnet Schulleiter Helmut Klemm immer wieder. Auch seitens der Schulbehörden gab es anfangs Widerstände: Schwächeren Kindern dürfe man so viel Eigenverantwortung nicht zutrauen, hieß es. Doch Klemm und sein Kollegium bewiesen das Gegenteil. Die Schule arbeitet eng mit Universitäten zusammen, evaluiert regelmäßig ihre Methoden und passt diese den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler an.

„Wenn es bei uns geht, dann geht es überall“, sagt Schulleiter Klemm und beschreibt seine Schule bewusst als Hinweisschule – nicht als Best-Practice-Modell oder Leuchtturmschule. Die Botschaft: Die Ansätze der Eichendorffschule können adaptiert werden und sind keine exklusiven Lösungen für spezifische Bedingungen. Statt vorgefertigter Konzepte bietet die Schule Anregungen und Ideen, die immer an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden müssen. Schulentwicklung geht nicht mit „Copy-Paste“.