Klaus_Zierer_169.jpg
Was für eine Zeit Themen
Beziehung Digitalpakt Medienkompetenz Methodenmix Wertebildung

Was bedeutet „Lernen 4.0.“?

Beim Mittelfränkischen Lehrertag hält Bildungsexperte Prof. Dr. Klaus Zierer einen vielbeachteten Hauptvortrag zum Thema „Lernen 4.0.“. Zur Frage, wie technische Revolution in Bildung übersetzt werden kann, müsse ein offener Diskurs geführt werden.

"Was für eine Zeit!" Mit diesem Satz eröffnete Bezirkspersonalratsvorsitzender und BLLV-Bezirksvorsitzender Markus Erlinger den Mittelfränkischen Lehrertag 2022, der, pandemiebedingt, wiederum nur virtuell über die Bühne gehen konnte.

Mit seinem Einstiegssatz brachte es Markus Erlinger auf den Punkt: Zwei Jahre Pandemielage und ein Krieg quasi vor der Haustür brächten immense Belastungen und unglaubliche Herausforderungen mit sich. All dies müsse bewältigt werden. Trotzdem hat es das Organisationsteam um Silke Zauner, an das ein herzlicher Dank für die geleistete Arbeit ging, geschafft, wieder einen Lehrertag mit Hauptvortrag und vielen Workshops auf die Beine zu stellen; und trotzdem haben wieder Hunderte von Gästen, wenngleich "nur" virtuell, ihren Weg zum 42. Mittelfränkischen Lehrertag gefunden.

Wie steht es um die Digitalisierung in der Bildung?

Nach der Begrüßung der Ehrengäste übergab Erlinger das Wort an Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Prof. Dr. Zierer, den sein Buch über die bildungspolitischen Folgen der Coronapandemie "Ein Jahr zum Vergessen" 2021 auf das "Blaue Sofa" und damit die "Ruhmesrampe der Frankfurter Buchmesse" ("Der Spiegel") brachte, gilt im deutschsprachigen Raum als führender Hattie-Experte und argumentiert für eine Digitalisierung an Schulen, deren Möglichkeiten und Grenzen jedoch in den Blick zu nehmen seien.

Zierer wies einleitend darauf hin, dass nach zweieinhalb Jahren nicht einmal 10 Prozent der Mittel des Digitalpaktes an den Schulen angekommen seien. Gleichzeitig sei festzustellen, dass immer mehr Menschen an "tech fatigue" leiden - sie sind der Digitalisierung müde. Gute Gründe sich die Frage zu stellen nach Mythen und Wahrheiten der Digitalisierung im Bildungsbereich.

Lernen ist nicht gleich Bildung

Die Frage sei, ob auch in der Digitalisierung das direkte personale Band zwischen Lehrer und Schüler zentral und entscheidend für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern sei. Dies sei aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, wobei theoretische Überlegungen wie auch praktische Erfahrungen sowie empirische Ergebnisse einfließen sollten.

Zunächst sei festgehalten, dass Bildung nicht das Gleiche wie Lernen sei. Man könne sehr wohl lernen, wie man einen Menschen zu Tode bringe, das habe aber - und hier verwies Zierer explizit auf Art. 131 (1) der Bayerischen Verfassung, in dem die Bildung von Herz und Charakter festgeschrieben sind - mit "Bildung" nichts zu tun.

Wie geht ganzheitliche Bildung digital?

Des Weiteren seien die Ergebnisse empirischer Bildungsforschung zu beachten. Entscheidend sei die Qualität von Unterricht; und von daher gelte auch für die Güte der digitalen Transformation, dass diese nur abhängig von der Lehrerprofessionalität gelänge.

Wenn aber Lernen für Wissen und Können stehe, Bildung aber Herz und Charakter forme, stelle sich die Frage der Sinnhaftigkeit und Wertigkeit von Bildung auch gerade bei der Digitalisierung. Denn digitale Medien veränderten das Denken, das Fühlen, das Handeln - aber auch unsere Demokratie.

Wie kann technische Revolution in Revolution der Bildung münden?

Hier sei auf Hattie und seine Methode der Synthese von Metaanalysen verwiesen. Wichtig bei der Herangehensweise sei es, Faktoren zur Berechnung von Effektivstärken zu bestimmen. Das Problem bestehe darin, dass Lernen sich nicht verhindern lasse; Schüler nähmen immer etwas aus dem Unterricht mit. Nur - ab wann ist das Mitgenommene im intendierten Sinne überdurchschnittlich positiv, sprich, hat einen empirischen Mehrwert?

Interessant sei, dass der Erfolg beim digitalen Lernen entgegen des Klischees von den "digital natives" nicht vom Alter abhänge; auch träten die größten Effektstärken - anders, als man erwarten könne - nicht in den MINT-Fächern, sondern im Fremdsprachenunterricht auf. Entscheidend seien auch beim digitalen Lernen die beiden "klassischen" Faktoren Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Eigentlich, so Zierer, warte man seit 30 bis 40 Jahren noch immer auf die digitale Revolution im Bildungsbereich. Nach wie vor stelle sich die Frage wie man es schaffe, die technische Revolution zur Bildungsrevolution zu machen.

Auf den Menschen kommt es an

In diesem Zusammenhang verwies Zierer auf zwei weitere Studien (die "Brain drain"-Studie von Adrian Ward der University of Texas at Austin sowie die Studie "The Pen Is Mightier Than the Keyboard" von A. Mueller and Daniel M. Oppenheimer der Princeton University bzw. University of California, Los Angeles). Auch wenn sich bewahrheite, dass die Aussagen der Empirie oftmals für alle gelten, aber nicht einen selber, seien sie doch starke Indikatoren für den Satz "Don't throw away your printed books". Denn unverändert gehe die Grammatik des Lernens über Einsatz und Anstrengung, Kooperation und Austausch, Umwege und Irrwege und, einmal mehr, positive Beziehungen.

Digitales Lernen bringe Zeitgewinn, gelegentlich Erkenntnisgewinn. Hilfreich sei das SAMR-Modell (nach Puentendura) das zeige, dass mit der Digitalisierung große Effekte in den Bereichen Neubelegung und Änderung zu erzielen seien, nur geringe jedoch in den Feldern Erweiterung und Ersetzung. Somit bleibe festzuhalten, dass ein schlechter Unterricht durch den Einsatz digitaler Medien nicht besser werde.

Das Medium muss im Dienst der Pädagogik stehen

In der anschließenden Fragerunde, von Silke Zauner moderiert, strich Zierer noch einmal deutlich heraus, wie wichtig gerade auch bei der Digitalisierung Feedback-Kultur sei. Ja, es gebe "Euphoriker" und "Apokalyptiker", doch müsse man beide Seiten hören und diesen Diskurs, wenngleich er anstrengend sei, führen. Denn wenn er, Zierer, nach Hospitationen auf die Frage, warum Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht eingesetzt hätten zu hören bekomme, weil diese gerade "en vogue" seien, dann könne es das nicht sein.

Im Namen der über 130 Teilnehmenden bedankte sich Markus Erlinger bei Prof. Dr. Zierer für den ebenso beeindruckenden wie inspirierenden Vortrag. Im Anschluss wurden die Teilnehmer des Mittlerfränkischen Lehrertages in ihre digitalen Workshops eingeladen.

>> Autor: Dr. Christian Hruschka für die Mittelfränkische Lehrerzeitung