Statement der BLLV-Präsidentin zum Schulstart Startseite
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Corona-Lockerungen, Integration ukrainischer Kinder sowie akuter Lehrermangel

Im Folgenden das aktuelle Statement der BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann zum Schulstart nach den Osterferien: Corona-Lockerungen, die Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher sowie akuter Lehrermangel sind große Herausforderungen.

„Am 25. April beginnt nach den Osterferien wieder die Schule und vieles ist neu und noch lange nicht normal:  Nicht nur die kürzlich gefallene Maskenpflicht und die am 1. Mai endende Testpflicht. Neu sind auch die vielen Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die wir an unseren Schulen integrieren wollen. Wir Lehrerinnen und Lehrer nehmen diese nach besten Kräften mit Herz und Haltung an. Was aber immer wieder vergessen wird und überhaupt nicht neu ist: Der Lehrermangel in Bayern!

Drei Herausforderungen auf einmal: eben keine Normalität!

Natürlich versuchen wir Lehrerinnen und Lehrer diesen schwierigen Seiltanz. Drei Krisen treffen aufeinander. So schwierig, wie es jetzt ist, war es noch nie. Drei Krisen zu bewältigen, heißt freilich Zugeständnisse zu machen, heißt deutlich über die eigenen Grenzen zu gehen und heißt einfach auch, dass eben nicht alles professionell gehen kann.

Als BLLV sehen wir es als unsere Aufgabe an, die Situation nicht mit dem Blick auf öffentliche Erwartungen schönzureden, sondern die Stolpersteine zu benennen. Lehrerinnen und Lehrer wollen es schaffen, spüren dabei aber auch jeden Tag, dass sie sich nicht die Blöße geben wollen, es nicht zu schaffen.  

Die Corona-Pandemie löst nach den Ferien immer noch Unsicherheiten und Ängste bei Schülern und Schülerinnen, Eltern, Lehrern und Lehrerinnen aus: Die Inzidenzen sind weiter sehr hoch, die Maske ist trotzdem bereits gefallen, mit ihr aber nicht die Sorgen um Sicherheit und Gesundheit.

Wenn jetzt auch noch die Testpflicht fällt, werden all diese Sorgen nicht kleiner. Freilich ist Unterricht ohne Maske und Schule, ohne Testmanagement der Wunsch von uns allen. Wir Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler und bestimmt auch die Eltern werden weiterhin kritisch sein. 

Wir riskieren, dass immer mehr Unterricht ausfällt. Wir riskieren, dass die Kolleginnen und Kollegen, die dann die Fahne noch hochalten, auch noch ausfallen. Zudem wissen wir doch alle, dass die Schülerinnen und Schüler aufgrund der Pandemie großen Bedarf nach individueller Förderung, nach sozial-emotionalen Lernangeboten und nach Normalität haben. Wer aber soll das nun alles auffangen?

Wo ist die Rückendeckung der Politik? Wie sollen wir so unserem professionellen pädagogischen Anspruch und jedem einzelnen Kind gerecht werden? Wir erwarten, dass der große Einsatz und die vorbildliche Haltung von Lehrerinnen und Lehrern wertgeschätzt werden. Wir tragen die Verantwortung und wir geben alles – aber: Wir brauchen Vertrauen, Rückendeckung und Unterstützung!“

MUSTER BRECHEN | FRAGEN STELLEN

Mit Herz und Haltung nehmen Lehrkräfte aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche an. Doch brauchen diese Kinder mehr als nur bewährte Konzepte. Vor allem brauchen sie Menschen. Wie ehrlich sind die öffentlichen Versprechungen der Politik? » www.bllv.de/muster-brechen


Medienberichte

Weitere Berichte dazu: zeit.de | merkur | euro-24 (Englisch)t-online | FAZ | news4teachers | TZ | welt | Traunsteiner Tagblatt | idowa | Frankenpost | Mainpost | RTL | Kurier | Donaukurier | Schwäbische | onetz

Im Gespräch mit Vertretern bayerischer Radiostationen, sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann:

  • "Wir haben jetzt eine große Herausforderung, die wir alle miteinander – die ganze Gesellschaft, vor allem aber wir Schulen – annehmen wollen. Es ist die Integration der ukrainischen Flüchtlinge. Gleichzeitig haben wir Lehrermangel im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich, und das schon vor Corona, das uns immer noch beschäftigt, gerade durch den Wegfall von Maskenpflicht und Tests, was für Irritationen sorgt. Die Lehrerinnen und Lehrer geben wieder alles. Aber dieser Seiltanz ist echt schwer."
     
  • "Es gibt Kolleginnen und Kollegen, wie auch Schülerinnen und Schüler und natürlich auch Eltern, die sagen: 'Das kann doch jetzt nicht gehen, ohne Maske!' Und dann gibt es genau die anderen, die froh sind, dass jetzt alles scheinbar normal ist, ohne Maske und Tests. Es gibt also alle unterschiedlichen Stimmungslagen in der Gesellschaft auch in den Schulen. Das Problem dabei ist, dass wir diese Stimmungslagen jeden Tag bei mehreren Menschen, bei den Kindern, bei den Eltern und bei den Lehrern auffangen und moderieren müssen. Deswegen sagt der BLLV ganz klar: Wir stellen uns vor die Lehrerinnen und Lehrer, benennen diese Grenzen und sagen ganz deutlich, dass dieser Seiltanz auch schiefgehen kann – und dass die Gesellschaft bitte sehen soll, was wir machen können, was wir bewältigen können – was aber auch nicht.
     
  • "Wir haben als Schulen einen Bildungs- und Erziehungsauftrag, aber wir sind keine Teststätte. Natürlich hat trotzdem jeder in den letzten Monaten pflichtbewusst seinen Beitrag dazu geleistet, die Sicherheit und Gesundheit in der Gesellschaft dadurch zu gewährleisten, dass wir jeden Tag alle zwei oder drei Tage, je nach Altersgruppen, diese Tests durchgezogen haben. Wir wollten das stehen und für die Gesellschaft leisten.
    Das führte dazu, dass uns Lernzeit, Arbeitszeit, gemeinsame Zeit mit den Schülerinnen und Schülern verloren gegangen ist. Und ich glaube, dass sozial, und emotional bei vielen Kindern ganz viel verloren gegangen ist. Nicht nur durchs Testen, sondern durch das mal zuhause lernen, mal in Quarantäne sein, die Unsicherheit spüren, die Sorge um den Opa, dem es ganz schlecht geht, den ich nicht besuchen darf.
    Das hat mit Kindern und Jugendlichen ganz viel gemacht. Das müsste Schule jetzt eigentlich auffangen. Wir müssten jetzt diesen Kindern, die durch Corona gekommen sind, die aber sozial und emotional von der Kompetenzentwicklung her Nachteile haben, gerecht werden. Aber mit welchen Lehrern, mit welchen Professionen? Denn die Förderlehrer, die wir beispielsweise dafür hätten, die das gut könnten, sind am Löcher stopfen, sind oft sogar in der Klassenleitung eingesetzt, obwohl sie dafür nicht gedacht sind. Die Fachlehrer haben doppelte Gruppenstärken, Schulpsychologen sind ausgebucht, Beratungslehrer überlastet. Viele müssen jetzt schauen, dass sie in der Krisenintervention mitarbeiten können für die Integration der Flüchtlinge.
    Aber wir können nicht dauernd nur Löcher stopfen, weil uns dann irgendwann mal die genuinen Kräfte fehlen. Und sie fehlen uns!"

     
  • "Wir befürchten im BLLV, dass die Lehrkräfte, die noch da sind und die Fahne hoch halten, durch die gestiegenen Herausforderungen und durch womöglich weitere Ausfälle infolge der Lockerungen, irgendwann die Fahne nicht mehr hoch halten können und auch noch krank werden – weil sie emotional, psychisch, aber auch rein faktisch die Herausforderungen nicht mehr schaffen. Das zu benennen, ist Aufgabe eines Lehrerverbandes, weil das für die einzelne Lehrerin fatale Folgen hätte. Die sagt immer: 'Freilich schaffe ich das. Freilich mache ich das für die Kinder. Das ist meine Aufgabe.' Wenn man ein ukrainisches Mädchen mit acht Jahren sieht, da kann keiner Nein sagen, also sagen Lehrkräfte: Ja! Sie entwickeln Material, machen Angebote. Aber eben oft ohne Förderlehrer und ohne Leiter für Willkommensgruppen, weil es kaum mehr Menschen gibt, die wir mit dem Lasso einfangen könnten, die gerne in der Schule arbeiten wollen."
     
  • "Wir wünschen uns jetzt Rückendeckung von der Staatsregierung, die schon sieht, was geleistet wird und dies auch sagt. Es bringt uns aber nichts, wenn ein Minister immer nur sagt, welche tollen Modelle es zur Integration gibt. Ja, es gibt Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen, Förderlehrer, Schulpsychologen, Sprint-Klassen, Differenzierung, Förderungsmöglichkeiten, Willkommensgruppen – es gibt scheinbar alles. Aber wie ist es denn vor Ort? Das alles gibt es zwar an manchen Schulen, aber wir haben auch Schulen, die jetzt ukrainische Kinder integrieren, in deren Klassenzimmern davor schon 30 Kinder saßen. Mehr Lehrer, die man bräuchte, um das zu verhindern, fallen nicht von den Bäumen. Es muss sich etwas an der Lehrerausbildung ändern und auf lange Strecke investiert werden. Jetzt brauchen wir nicht nur das Geld, sondern wir brauchen Menschen. Denn Geld und Konzepte gibt es von der Staatsregierung – aber keine Köpfe!"
     
  • Die Bildungsqualität steht infrage. Stunden fallen aus, Förderstunden fallen aus. Arbeitsgemeinschaften haben wir schon lange nicht mehr. Schule macht schon lange nicht mehr die Freude, die es zum Lernen braucht, weil wir beispielsweise kein Theater mehr spielen können, weil ganz viel einfach überhaupt nicht mehr stattfinden kann. Lese-Rechtschreibförderung für einzelne Kinder in Kleingruppen gibt es nicht mehr, weil der Förderlehrer, der das normalerweise tun würde, die 7c als Klassenleiter unterrichtet. Diese Langzeitfolgen machen mir große Sorgen.
     


Im Sonntagsblatt weist Simone Fleischmann auf Unsicherheiten und Ängste im Zusammenhang mit Corona hin und warnt: "Wir riskieren, dass immer mehr Unterricht ausfällt." Damit die Integration ukrainischer Flüchtlinge gelingen kann, fordert sie Rückendeckung von der Politik.
» zum Artikel "Ferienende: Holetschek und BLLV warnen vor Corona-Anstieg"


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