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„Demokratie gemeinsam einüben: emotional, offen und dialogisch“

Auf dem Fachpodium „Demokratie beginnt in der Schule“ des BLLV-Dachverbands dbb schildert Simone Fleischmann, welche praktischen Schritte es braucht, um Schülern und Schülerinnen klare Haltungen zu vermitteln, die zu überzeugtem demokratischen Handeln führen.

Angesichts des lauten öffentlichen Rufes, die Schule solle es – mal wieder – richten, stellt BLLV-Präsidentin und stellvertretende Bundesvorsitzende des Dachverbands dbb Simone Fleischmann gleich zu Beginn des Fachpodiums im Rahmen der Jahrestagung des Spitzenverbands klar: „Wir leben Demokratie in der Schule!“

Lehrkräfte seien sich – wie alle Mitarbeitenden im öffentlichen Dienst – ihrer Aufgabe angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen voll bewusst: „Uns allen ist doch klar, dass wir alle zusammen in der Pflicht stehen, dass in unserem Land kein Platz für Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Hass, Hetze und Gewalt ist! Und durch was können wir besser und nachhaltig eine starke Demokratie anlegen, als durch starke demokratische Bildung in der Schule?“

Einfache Antworten taugen nicht für komplexe Fragen

Kritisch sieht Fleischmann dabei die öffentliche Diskussion um das Wie und auch manche aktionistische politische Entscheidung. Die Gesellschaft zeige sich zwar vermehrt „fassungslos, hilflos und überwältigt“ angesichts von Gewalttaten zu Silvester, Wahlergebnissen zugunsten extremer Gruppierungen, zunehmendem Antisemitismus und Angriffen gegen Einsatzkräfte, Lehrkräfte oder Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die Reaktion sei aber häufig problematisch: „Oft sind es dann die einfachen Antworten, die mit Applaus goutiert werden“, konstatiert Simone Fleischmann und stellt klar: „Einfache Antworten auf komplexe Fragen der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft tun es aber nicht. Lösungen wie eine Verfassungsviertelstunde pro Woche – wie in Bayern angedacht – ein Fach Demokratiebildung oder ein Fach Antisemitismus werden es nicht richten.“

Besonders der Reflex, neue Fächer einzuführen – am besten benotet –, greife oft zu kurz und sei angesichts des Personalmangels an Schulen auch hochgradig unrealistisch: „Haben wir nicht auch irgendwie noch Lehrermangel? Haben wir ohnehin nicht zu volle Lehrpläne und bereits zu viele Fächer?“, gibt die stellvertretende dbb-Vorsitzende zu bedenken.

Rechnen, Lesen, Schreiben wichtiger als Demokraten erziehen?

Simone Fleischmann stellt mit Blick auf den akuten Personalmangel an Schulen außerdem die provokante Frage, ob es angesichts der immer wieder festgestellten Mängel bei Basiskompetenzen etwa wichtiger sei, Rechnen, Schreiben oder Lesen zu vermitteln als Demokraten zu erziehen. Bei den faktischen Realitäten im Bildungsbereich müsse sich die Gesellschaft dieser Frage insgesamt stellen und Prioritäten diskutieren.

So oder so gehe es bei demokratischer Bildung nicht um ein eingegrenztes Fach, sondern um eine übergreifende Haltung, die im gesamten Schulalltag gelebt werden muss: „Einstellungen, Werte des Zusammenlebens, das kompetente Anwenden von politischen Grundlagen und demokratischen Grundsätze – und Haltungen“, sind für Simone Fleischmann das Ziel.

Wissen muss zu Haltung und konkretem Handeln führen

„Wenn es  also um mehr als um auswendig reproduziertes Wissen geht,  um Kompetenzen und Haltungen, dann reicht eben ein Fach nicht aus, dann hilft eine Note auch nicht besonders weiter“, resümiert die BLLV-Präsidentin und stellt die Effektivität von Notenfokussierung in Frage: „Was würde ein ‘befriedigend‘ in der Demokratieschulaufgabe konkret bedeuten? Würde ein ‘gut‘ in der Kurzarbeit den Antisemitismus verhindern oder ein ‘sehr gut‘ in einem Aufsatz zur bayerischen Verfassung zur toleranten und empathischen Haltung führen?

Weil also Haltung und Handeln entscheidend sind, braucht es grundlegende andere Wege, um Demokratie in den Schulen zu stärken: „Kompetentes demokratisches Handeln baut auf komplexen Wissenszusammenhängen auf und muss einerseits klassisch erlernt, andrerseits aber auch konkret eingeübt werden“, betont Simone Fleischmann.

Partizipation konkret umsetzen

Der BLLV hat eine Handreichung aufgelegt, wie das in Grundschulen praktisch umgesetzt werden kann: „Demokratie lernen von klein an!“ Simone Fleischmann schildert davon ausgehend, wie ein Klassenrat diskutieren kann, ob ein Skilager sinnvoll ist oder eher die Fahrt ins Schullandheim, ein Team-Training oder eine Stadtbesichtigung. Die mehrheitliche Entscheidung wird dann von allen umgesetzt. Ähnliche Prozesse seien in Klassensprecherversammlungen und Schulversammlungen möglich. Diese können erarbeitete Anliegen anschließend in die Kommunalpolitik tragen. Für die Partizipation im Schulleben können Kinder über institutionalisierte Schüler-Sprechstunden mit der Schulleitung in Dialog treten und den Austausch über schulische Regelungen in Schulversammlung, Klassengemeinschaft und Projektgruppen tragen.

Damit solche Ansätze an Schulen weitreichend umgesetzt werden können, braucht es aus Sicht von Simone Fleischmann aber auch einige systemische Veränderungen: „die Achtung der Bedeutung des Bildungsziels Demokratie, die Stärkung der politischen Bildung, die Stärkung der politischen Medienkompetenz, demokratischer Unterricht und die feste Integration der Demokratiepädagogik in alle Phasen der Lehrerbildung.“

Zur Selbstbefähigung beitragen

Dass es eine große Chance bedeutet, solche Schritte zu gehen, meint auch Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende der dbb Fachkommission Bildung und Wissenschaft: „Schule ist eine Chance, Gesellschaft aktiv zu beeinflussen. Jugendliche und Kinder lernen dort, zu argumentieren und sich mit demokratischen Mitteln Gehör zu verschaffen.“

Die Frage, ob demokratische Bildung an Schulen derzeit die nötige Priorität gegeben wird, wirft auch Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, auf. Es könne nicht sein, dass der Besuch des Bundestages abgesagt wird, weil eine Klassenarbeit ansteht oder dass der Besuch des Konzentrationslagers wegen Vokabeltests abgesagt wird. „Da müssen wir zwingend unsere Prioritätensetzung überdenken“, fordert der Politiker und stellt klar: „Wir müssen zur Selbstbefähigung beitragen.“

Alle gemeinsam

Aus Sicht des BLLV gelingt das am besten von Mensch zu Mensch, in einer wertschätzenden und konstruktiven Atmosphäre. Simone Fleischmann plädiert dafür, „was die demokratische Bildung der jungen Generation angeht, vor allem auf das emotionale, offene und dialogische Miteinander an unseren Schulen zu setzen.“