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Gender Toleranz

Geschlechtergerechte Schreibung laut Rechtschreibrat „noch im Fluss“

Der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt weiter nicht die Aufnahme von Sonderzeichen ins amtliche Regelwerk, weist aber auf die Option der „rezeptiven Toleranz“ als „schulpolitische Handlungsoption“ hin. Einige Mitglieder bezweifeln die eigene Zuständigkeit.

Am 15. Dezember hat sich der Rat für deutsche Rechtschreibung wieder mit geschlechtergerechter Schreibung beschäftigt. Er stellt dabei erneut fest, „dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll.“ Dies sieht er aber vor allem als gesamtgesellschaftlichen Auftrag, der über das hinausreicht, was der Rechtschreibrat zu regeln hat: „Dies ist eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann.“

Der Rechtschreibrat sieht nach eigener Aussage die Zeit nicht gekommen, Sonderzeichen wie beispielsweise Asterisk/Stern, Unterstrich, Doppelpunkt oder Ähnliches als Kennzeichen von Geschlechtsidentitäten zur Aufnahme in das Amtliche Regelwerk der deutschen Sprache zu empfehlen.

Sprachentwicklung wird weiter beobachtet

Der Rechtschreibrat bestätigt damit erneut seine abwartende Haltung, die er bereits mit seinen Einlassungen 2018 und 2021 kundgetan hat. Er weist erneut darauf hin, dass die Sprachentwicklung weiter zu beobachten sei: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird die weitere Schreibentwicklung beobachten, denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss.“

Als Gründe für den Verzicht einer Aufnahme von Sonderzeichen gibt der Rechtschreibrat unter anderem die Erlernbarkeit der deutschen Sprache, insbesondere auch der Schriftsprache, an. Er kritisiert dabei die Hochschulen, die in der Ausformung geschlechtergerechter Sprache häufig Vorreiter sind. Denn dort würden auch Lehrkräfte ausgebildet, die dann Schülerinnen und Schülern die Sprache nach dem amtlichen Regelwerk zu vermitteln hätten.

Kritische Reflexion und „rezeptive Toleranz“ in Schulen möglich

Gleichzeitig verweist der Rechtschreibrat auf die Möglichkeit, diese Fragen selbst zum Unterrichtsgegenstand zu machen: „In den höheren Schulstufen können dann auch die Entwicklungen der geschriebenen Sprache der letzten Jahre mit den Sonderzeichen im Wortinnern und zwischen Wörtern zur Kennzeichnung einer geschlechtsübergreifenden Schreibintention thematisiert und reflektiert werden.“

Der Rechtschreibrat stellt auch klar, dass die Frage der Bewertung von schulischen Leistungen in der „Zuständigkeit der Schulpolitik“ liegt. Er weist dabei darauf hin, dass es ebenfalls eine politische Entscheidung sei, inwieweit „‘rezeptive Toleranz‘“ als eine schulpolitische Handlungsoption zu betrachten ist“.

Haltung zählt

Die Debatte um geschlechtergerechte Sprache hatte in Bayern zuletzt Ministerpräsident Söder verschärft, indem er in einer Regierungserklärung ein „Gender-Verbot“ an Bayerns Schulen und Behörden angekündigt hatte. Wie dieses genau aussehen und angewendet werden soll, ist bisher allerdings nicht konkret beschrieben worden.

Tatsächlich gibt es an bayerischen Schulen bisher weder Ge- noch Verbote. Eine häufige Praxis ist, in Texten von Schülerinnen und Schülern, die Sonderzeichen benutzen, diese zu markieren, aber nicht als Fehler zu werten. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann hatte dazu klargestellt, dass es pädagogisch höchst zweifelhaft wäre, Kindern und Jugendlichen die Verwendung geschlechtergerechter Sprache zu untersagen, wenn diese dadurch ihre Solidarität zu Menschen und Mitschülern ausdrücken wollen, die sich insbesondere an bayerischen Schulen fast immer aufgrund ihrer nicht-binären Geschlechteridentität mit Diskriminierung und Gewalt konfrontiert sehen. Es gehe hier zunächst um eine menschliche Haltung und nicht um Details behördlicher Vorschriften.

Empathie, Dialog, Solidarität

In der auch vom Rechtschreibrat angesprochenen kritischen Reflexion geschlechtergerechter Sprache an Schulen komme es daher vor allem auf Dialog und Sensibilität an. Den Vorstoß des Ministerpräsidenten ordnete Fleischmann in diesem Kontext kritisch ein: „Wir sollten uns der Diversität der Gesellschaft gemeinsam bewusst werden. Wir wollen eine offene, integrative Gesellschaft und Schule ist Vorbild für gesellschaftliche Entwicklungen. Daran, dass sich die Gesellschaft verändert, kann auch ein Ministerpräsident nichts ändern. Wir sollten stattdessen sensibel darauf reagieren.“

Auch die BLLV-Präsidentin hatte zur Frage der konkreten Ausformung auf die Bedeutung des Schriftspracherwerbs hingewiesen und die Empfehlungen des Rechtschreibrats als wichtige Grundlage benannt. Indes stellen inzwischen einige Mitglieder des Rechtschreibrats laut einem Bericht der ZEIT aber prinzipiell die eigene Zuständigkeit infrage. Das Argument: Sonderzeichen zur Markierung geschlechtergerechter Sprache seien keine orthografischen Zeichen, sondern lediglich typographische. Deshalb würden sie gar nicht in die Zuständigkeit des Rechtschreibrates fallen, da dieser nur für Erstere zuständig ist …
 

Hintergrund

Der BLLV ist durch einen demokratischen Beschluss mit großer Mehrheit auf seiner diesjährigen Landesdelegiertenversammlung, seinem höchsten Beschlussgremium, zum Einsatz für geschlechtergerechte Sprache aufgerufen:
» Die BLLV-Position: "Lehrerinnen und Lehrer, Lehrer_innen, Lehrer:innen, Lehrer*innen oder halt doch einfach nur Lehrkräfte?"
 

Medienbericht

Simone Fleischmann im Wortlaut gegenüber der FAZ


Zur gesellschaftlichen Bedeutung geschlechtergerechter Sprache:

"Die Diskussion ist nicht mehr zurückzudrehen. Was hier diskutiert wird, ist Spiegel einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die jungen Leute wollen, dass Diversität abgebildet wird."

Die BLLV-Präsidentin berichtet außerdem, dass gerade Lehrkräfte, die gendern, bei Jugendlichen häufig besonders "angesagt" sind.

Zur Rolle der Lehrkräfte:

"Lehrkräfte haben und beanspruchen für sich die pädagogische Kompetenz, mit den Themen und Fragen der Schülerinnen und Schüler angemessen umgehen zu können und diese im Rahmen angemessener Freiräume zu moderieren. Diese Freiheit ist enorm wichtig, und das wollen sie sich auch nicht verbieten lassen."

Zur Bedeutung sozialer Kompetenzen:

Simone Fleischmann weist ausdrücklich auf das im Beutelsbacher Konsens festgelegte "Überwältigungs- und Indoktrinationsverbot" hin. Es gehe darum, dass Schülerinnen und Schüler soziale Kompetenzen erwerben und reflektiert mit gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen lernen:

"Ziel sollte die Bildung einer eigenen Meinung für die Schülerinnen und Schüler sein."