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Bildungsgerechtigkeit

„Jedes arme Kind ist eines zu viel“

Der aktuelle Bericht über Armut unter Kindern und Jugendlichen der Bertelsmann-Stiftung zeichnet ein erschreckendes Bild. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: „Hier muss dringend gehandelt werden. Es geht um die Bildungsgerechtigkeit.“

Die Studie „Kinder und Jugendarmut in Deutschland“ von Antje Funcke und Sarah Menne zeigt: Mehr als jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht, bei den Erwachsenen unter 25 Jahren jeder vierte. Die Auswirkungen sind dramatisch: „Aufwachsen in Armut begrenzt, beschämt und bestimmt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – heute und mit Blick auf ihre Zukunft“, so die Autorinnen der Studie. „Sie erleben in nahezu allen Lebensbereichen – wie Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe – Benachteiligungen. Das hat auch für die Gesellschaft erhebliche negative Folgen.“

Bildungsgerechtigkeit in weiter Ferne

Aus Sicht des BLLV ist das ein unhaltbarer Zustand, wie Präsidentin Simone Fleischmann klarstellt: „Der Armutsbericht zeigt eine verheerende Situation. Jedes arme Kind ist eines zu viel. Wir leben in einem der reichsten Länder Europas und im reichsten Bundesland – hier muss dringend gehandelt werden.“

Die Folgen sind in den Schulen deutlich spürbar, wo ohnehin das dringend nötige Personal fehlt, um Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, die besondere Förderung brauchen. Damit schlagen ungleiche Bildungsvoraussetzungen voll durch, warnt Simone Fleischmann: „Finanziell prekäre Verhältnisse wirken sich unmittelbar auf die Bildungsgerechtigkeit aus, von der man angesichts der aktuellen Situation rund um den Lehrermangel ohnehin nicht mehr sprechen kann.“

 

Ergebnisse und Folgerungen der Bertelsmann-Studie „Kinder- und Jugendarmut in Deutschland“ im Überblick


Was bedeutet „Armut“ in Deutschland?

  • Sozialstaatlich definierte Armutsgrenze:
    Kinder, die in einem Haushalt leben, der Leistungen nach dem SGB II bezieht
    (bis 2022: Hartz IV; ab 2023: Bürgergeld)

Eine weitere Definition von Kinder- und Jugendarmut orientiert sich an…

  • …der relativen Einkommensarmutsgefährdung:
    Das Einkommen der Haushalte, in denen armutsgefährdete Kinder und Jugendliche leben, beträgt weniger als 60 % des mittleren Nettoeinkommens aller deutschen Haushalte
    • Relative Einkommensarmutsgefährdung berücksichtigt auch diejenigen, die zwar ein Einkommen beziehen, welches unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt


Armutsgefährdung bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Deutschland:

  • Anteil der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen U-18 Jahren liegt bei 20,8 %
    • Entspricht 2,88 Millionen Kindern
    • Anders ausgedrückt: bundesweit jedes fünfte Kind armutsgefährdet
  • Anteil der armutsgefährdeten jungen Erwachsenen (18-25 Jahre) sogar bei 25,5 %
    • Junge Erwachsene im Altersgruppen-Vergleich am häufigsten
      armutsgefährdet
    • Anders ausgedrückt: bundesweit jeder vierte junge Erwachsene
      armutsgefährdet

Bayern:

  • Anteil der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen U-18 Jahren liegt in BY bei 13,4 % (in Bremen liegt der Anteil sogar bei 41,1 %)
  • Anteil der armutsgefährdeten jungen Erwachsenen (18-25 Jahre) sogar bei 18,1 %
    • Mehr junge Frauen (19,5 %) armutsgefährdet als junge Männer (16,7 %)
  • In BY ist der Anteil der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen im Vergleich zu den anderen Bundesländer am geringsten


Armutsgefährdungsquote nach Familienform und Kinderzahl

  • Kinder- und Jugendarmut oftmals auch Familienarmut…
    • …familiale Konstellationen müssen demnach bei der Thematisierung von Kinder- und Jugendarmut berücksichtigt werden
    • …Kinder haben keine Möglichkeit sich aus der Armut „heraus zu arbeiten“
    • …86,2 % – also fast neun von zehn – der Alleinerziehenden mit drei oder mehr Kindern sind von SGB II-Leistungen abhängig
       
  • Besonders häufig sind Kinder und Jugendliche in alleinerziehenden oder
    Mehrkindfamilien (d.h. 2 oder mehr Geschwister) armutsgefährdet


Armutsgefährdungsquote Junges Erwachsenenalter (18 bis 25 Jahre)

  • Insgesamt sind in Deutschland 4,43 Millionen unter 25-Jährige armutsgefährdet
  • Junge Frauen sind deutlich häufiger von Armut betroffen als junge Männer


Folgen von Armut (Beispiele)

„Armut hat Auswirkungen darauf, wie junge Menschen aufwachsen und welche Möglichkeiten sie in ihrer Kindheit und Jugend, aber auch im späteren Leben als Erwachsene haben. Ihr Leben wird durch finanzielle Engpässe, Mangel und Verzicht bestimmt und ihre Handlungsspielräume sind deutlich begrenzt. Zudem erleben sie Stigmatisierungen und Beschämung.“ (Funcke/Menne 2023: 10)


Notwendige Reformen gegen Kinder- und Jugendarmut

1. Kindergrundsicherung

  • Zügige Einführung, so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht
    (vgl. Koalitionsvertrag, S. 78)
  • Recht auf Beteiligung junger Menschen ernst nehmen und junge Menschen bei der Ermittlung der Bedarfe innerhalb der verschiedenen Altersgruppen partizipieren lassen
  • Zentral ist die Neubestimmung der Höhe der existenzsichernden Leistung

(weg von existenzminimalen Regelbedarfen hinzu der normativ-politischen Festlegung finanzieller Bedarfe für ein „gutes/normales“ Aufwachsen)

  • Ziel muss es sein, durchschnittliche Möglichkeiten und Spielräume für junge Menschen zu öffnen, damit sie an Gesellschaft teilhaben und gesund aufwachsen können
  • Kinder und Jugendliche müssen Anspruchsberechtigte der Leistung sein
  • Kindergrundsicherung muss so ausgestaltet werden, dass sie am unteren Einkommensrand wirkt
  • Einfache, niedrigschwellige sowie möglichst digitale Beantragung der Kindergrundsicherung, sodass sie alle Kinder und Jugendliche erreicht


2. Sozial gerechte und elternunabhängige finanzielle Absicherung
junger Erwachsener

  • Systeme zur Existenzsicherung scheinen die Altersgruppe der jungen Erwachsenen nicht ausreichend zu berücksichtigen, nicht gut aufeinander abgestimmt sind und nicht ineinander greifen
  • Es braucht ein konsistentes, teilhabesicherndes System zur Existenzsicherung junger Erwachsener
  • BAföG-Reform, wie im Koalitionsvertrag angestrebt, dringend notwendig (vgl. Koalitionsvertrag, S. 52, 74, 76)
    • Derzeit sind die zentralen Pfeiler der Studienfinanzierung, die Nebenjobs junger Erwachsener sowie die finanzielle Unterstützung
    • Braucht deutliche Erhöhung der Bedarfssätze und möglichst regelhafte Anpassung der Bemessungsgrenzen und Fördersätze an die Preis- und Einkommensentwicklung
    • Elternunabhängigkeit beim BAföG erhöhen
  • Ausbildungsgarantie für junge Menschen einführen (vgl. Koalitionsvertrag, S. 52)
    • Ausbildungsgarantie soll jedem jungen Menschen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglichen
    • System hinsichtlich der Unterstützungsleistungen sowie der Ausbildungsvergütung von jungen Menschen in Ausbildung sollte weiterentwickelt werden

Quelle: Funcke, Antje/Menne, Sarah (2023): Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Factsheet. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

» Factsheet zur Berstelsmann-Studie
» Folgerungen: Policy Brief der Bertelsmann-Stiftung

Weitere Informationen

Der BLLV unterstützt bedürftige Kinder und Jugendliche durch soziale Projekte, insbesondere mit dem » Schulfrühstück "denkbar"
 



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