„Man legt ihm und tausend anderen Kindern und Familien in Bayern viele schwere Steine in den Weg.“
Zu diesem Fazit kommt der Bayerische Rundfunk im Satiremagazin „quer“, das Schülerinnen und Schüler begleitet, die trotz Dyskalkulie versuchen, ihre Bildungs- und Lebensziele zu erreichen. Eltern berichten von Wut, Trauer, Frustration und dem immerwährenden Gefühl, weniger wert zu sein – denkbar schlechte Voraussetzungen fürs Lernen und für Bildungserfolge.
Unterschiedlicher Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie
Aus Sicht von Dyskalkulie-Therapeutin Dr. Petra Küspert von der Universität Würzburg bedeutet das unnötig vertane Chancen: „Kinder werden mit einer gewissen Vulnerabilität für Rechenschwierigkeiten oder Rechenstörungen geboren. Es bedeutet aber nicht, dass sie ihr Leben lang keine Chance haben, die Mathematik zu erwerben. Wenn diese Kinder frühzeitig eine gute Förderung bekommen, die auf dem Niveau ansetzt, auf dem sie gerade noch mathematische Kompetenz haben, dann können sie mit dem Rechnen klarkommen.“
Ein wichtiges Instrument dafür wäre aus Expertensicht eine ähnliche Regelung wie sie bei Schülerinnen und Schülern mit Lese- und Rechtschreibschwächen angewendet wird: der sogenannte Nachteilsausgleich, beispielsweise in Form von mehr Zeit bei Tests. Diese Ungleichbehandlung fällt besonders einer Mutter auf, deren Sohn mit einer legasthenischen Beeinträchtigung genau davon in seiner Schule profitiert, deren Tochter aber trotz attestierter Dyskalkulie frustriert und unter Tränen das Gymnasium aufgeben musste und auf die Realschule wechselte, weil sie sich mit ihrer Rechenstörung alleingelassen fühlte.
Herz und Verstand sind gefragt
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann sieht hier die Politik in der Pflicht, mehr zu tun als nur schöne Worte zu finden: „Unsere Politiker sagen in jeder Sonntagsrede: ‘Kein Kind darf verloren gehen!‘“, mahnt sie im Interview mit dem BR und fragt: „Jetzt haben wir da aber vier bis sieben Prozent von Kindern, die nicht gut leisten können, weil sie eine attestierte Teilleistungsstörung haben – warum verlieren wir die trotzdem?“
Wenn man allerdings Schulen zuvorderst als Sortieranstalten mit juristisch robusten Kriterien versteht und nicht als Orte, an denen Kinder und Jugendliche bestmöglich gefördert werden, stellt Dyskalkulie ein großes Problem dar: Hier stünde unter Umständen die gesamte Benotung im versetzungsrelevanten Fach Mathematik zur Disposition, was in Grundschulen sofort Auswirkungen auf die heißt debattierte bayerische Sonderregelung beim Übertritt hätte. Es geht im Zweifel also um dicke Bretter beim grundsätzlichen Verständnis von Lernen und Leistung.
Dicke Bretter sieht auch „quer“-Moderator Christoph Süß. Denn wenn eine „überalterte Fachkräftemangelgesellschaft“ so lieblos mit dem Nachwuchs umgehe, dann hätten die dafür Verantwortlichen ebenjene Bretter offensichtlich vorm Kopf.
» zum Beitrag im BR-Satiremagazin quer: „Verlorenes Potential: Kinder mit Rechenschwäche im Abseits“ (Simone Fleischmann ab 4:02)
» Ganze Sendung in der ARD-Mediathek (Abmoderation Dyskalkulie ab 35:34)