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„Gewalt zu vermeiden ist eine Aufgabe von Politik und Gesellschaft insgesamt!“

Eine Statistik des LKA zeigt zunehmende Gewalt an Schulen. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Kinder und Jugendliche orientieren sich vor allem an Vorbildern. Schulen brauchen mehr Ressourcen und einen Konsens, was pädagogisch fokussiert werden soll.

Eine Statistik des Bayerischen Landeskriminalamts, nach der zwischen 2019 und 2022 Gewaltdelikte an Schulen um 15% zugenommen haben, schlägt hohe Wellen. Zahlreiche Medienvertreter haben den BLLV nach einer Einschätzung dazu gefragt, Präsidentin Simone Fleischmann stellt klar: Was Lehrkräfte täglich in den Schulen erleben, spiegelt exakt das wider, was sich in der Gesellschaft verändert hat. „Kinder lernen am Modell, das gilt auch für das Verhalten bei Konflikten“, erläutert Fleischmann im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. „Wenn wir schauen, wie die Politik Konflikte angeht, wie Eltern sich bei Konflikten verhalten, wie die Gesellschaft insgesamt bei Konflikten reagiert, dann wird klar sichtbar, dass Kinder und Jugendliche das in ihr Repertoire übernehmen.“

Fleischmann schildert Fälle aus ihrer eigenen Zeit als Schulleiterin, in der Schüler einen Gewaltausbrauch damit rechtfertigten, dass die Eltern auch mit der Türe knallen oder handgreiflich werden. Und sie verweist auf einen Eklat im Bayerischen Landtag: „Im Parlament habe ich neulich beobachtet, wie ein Abgeordneter von der AfD verwarnt wird, weil er eine Beschimpfung mit sexualisiertem Kontext benutzt hat“, schildert Simone Fleischmann. „Der Landtagspräsident sieht sich gezwungen, eine Geldstrafe zu verhängen und derjenige rennt dann raus und sagt ‘Dann gehe ich nach Hause‘. Also wenn so etwa in einem hohen Haus der Demokratie passiert, dann brauchen wir uns wirklich nicht mehr zu wundern, wenn so etwas dann auch in den Schulklassen passiert.“

Die einfachen Antworten sind keine

Entsprechend sind angesichts der neuen, alarmierenden Zahlen aus Simone Fleischmanns Sicht auch alle gefragt: „Wir haben alle miteinander eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, jeder Einzelne, die Eltern, die Politik“, mahnt die BLLV-Präsidentin in der Passauer Neuen Presse. Insbesondere warnt sie nun vor reaktionären Schnellschüssen: „Wenn ich mir jetzt so manche Diskussionen anhöre, die sehr einfach und einfältig sind, dann heißt es wieder, es sind halt die Ausländer schuld. Auch wenn es stimmt, dass Kinder aus Migrationsfamilien, Kinder mit Fluchthintergrund – die übrigens oft schlimme Konflikte erlebt haben und nicht alle damit umgehen können – da eine Rolle spielen. Es ist aber viel zu einfach, jetzt zu sagen: ‘Da war eine Schlägerei am Pausenhof, das war der Mohammed.‘ Für uns ist es ganz, ganz wichtig, dass wir sehr sensibel hinschauen. Wir dürfen nicht einfach die Stammtischparolen nachplappern. Erziehung heißt nicht schwarz-weiß, sondern Erziehung heißt, genau hinzugucken.“

In diesem Kontext spielen aus Sicht des BLLV auch die Medien eine entscheidende Rolle: „Ich weiß jetzt schon, dass eine Zeitung mit vier Buchstaben das morgen anders darstellen wird“, prognostiziert Simone Fleischmann. „Ich hoffe sehr, dass Qualitätsjournalismus dann doch noch mal kurz nachdenkt und entscheidet, die Überschrift heißt nicht ‚Ausländer sind gewalttätig‘“.

Gilt auch für Erwachsene: Erst nachdenken, dann posten

Besonders problematisch sieht die BLLV-Präsidentin die Entwicklung in den sozialen Netzwerken, „die übrigens alles andere als sozial sind“, wie sie gegenüber dem BR warnt. Die Verrohung von Verhalten und Sprache werde von Kindern und Jugendlichen direkt übernommen, schildert Fleischmann:

„Wenn sich beispielsweise Jugendliche in der achten Klasse in einem  sozialen Netzwerk völlig im Ton vergriffen haben und du kriegst das als Lehrerin mit und bringst dann diese Unterhaltung aufs Whiteboard im Klassenzimmer. Und am Whiteboard kann man dann sehen, wie dieses eine Mädchen aus der Klasse von fünf anderen, die auch in diesem Chat mit dabei waren, völlig diskreditiert wird, völlig an den Rand gestellt wird, wenn Bilder eingestellt werden oder Wörter verwendet werden, die abartig sind. Dieses Kind ist in der Nacht völlig am Ende gewesen, weil es das gelesen hat. Wenn du das dann so live zeigst, drehen alle Kinder durch. Die sagen dann: ‘Tun sie das weg, Frau Fleischmann, das kann man nicht im Klassenzimmer zeigen.‘ Dann fragt man natürlich: ‘Warum hast du es denn dann gemacht?‘ Dass also viele Jugendliche überhaupt gar keine Bremse mehr haben, überhaupt keinen Riegel mehr vorschieben, wenn sie etwas posten, das erleben sie genauso bei Erwachsenen, bei denen eben auch zu oft gilt: Überhaupt nicht mehr nachdenken, bevor sie etwas posten. Dabei ist das die erste Regel der Netiquette: Denk erstmal nach, bevor du was postest, und frag dich, ob du das auch zu einem Menschen sagen würdest. Das musst du den Kindern beibringen, denn dieses Reinkotzen in die Netzwerke macht andere Menschen kaputt und führt zu einer Spirale des Wahnsinns. Und wenn du diese Spirale im Klassenzimmer sichtbar auf die Tafel bringst, sagen plötzlich alle: Das darf man doch nicht. Sie wollen es nicht wahrhaben, wenn es öffentlich wird, dabei sind soziale Netzwerke mindestens genauso öffentlich.“

Was soll Schule vor allem leisten?

Aus Sicht der BLLV-Präsidentin müssen also Medienerziehung und sozial Gewaltprävention Hand in Hand gehen. Ein komplexer Auftrag, der in eine Zeit fällt, in der Schulen gerade dazu angehalten werden, sich doch bitte mal auf die Kernkompetenzen zu fokussieren, wie Simone Fleischmann schildert: „Wenn im Miteinander an der Schule rote Linien überschritten werden, dann wird der Ruf laut nach Erziehung zum friedvollen Miteinander, zum konfliktfreien Miteinander, zum gewaltfreien Miteinander. Und jetzt kommt bei uns nur Folgendes zusammen: Wir haben nicht nur diese Ansage zur Gewaltprävention, sondern wir haben auch noch Kinder, die nicht lesen, rechnen und schreiben können in der Grundschule. Also sollen wir darauf fokussieren. Gleichzeitig befinden wir uns gerade in einer Krise der Demokratie, also sollten wir auch noch die Kinder zu Demokraten erziehen. Aber den Pythagoras dürfen wir auch nicht vergessen.“

Dieses „Wünsch Dir Was“, mit dem Schulen oft konfrontiert werden, trifft aber in der Realität auf ausgelaugte Kollegien, weil der Personalmangel seit Jahren an den Kräften zehrt. „Wir haben zu viele Herausforderungen, wir Lehrerinnen und Lehrer, und zu wenig Personal in der Schule“, stellt Simone Fleischmann klar. „Wir müssen mit Blick auf die aktuellen Zahlen einräumen, dass wir weder präventiv noch intervenierend wirklich viel gegen die Gewalt tun können, weil uns die Ressourcen dazu fehlen. Und es fehlt der Fokus, ob es Gewaltprävention, Lesen, Rechnen, Schreiben, Demokratiepädagogik, Medienkompetenz oder beispielweise auch noch Ernährung, Radfahren und Finanzen sein sollen. Denn wenn alles im Fokus ist, ist nichts im Fokus.“
 


Hintergrund

Kultusministerin Anna Stolz hat im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur klargemacht:

"Der Anstieg der registrierten Gewaltdelikte an bayerischen Schulen ist nicht zu tolerieren. Ich verfolge hier eine Null-Toleranz-Regel: Gewalt jeder Art - ganz gleich ob innerhalb der Schülerschaft oder gegenüber Lehrkräften - wird an Bayerns Schulen nicht geduldet. Jede an unseren Schulen gemeldete Straftat wird zur Anzeige gebracht und entsprechend verfolgt."

>> aufgegriffen unter anderem von der Süddeutschen Zeitung: "Polizei registriert immer mehr Gewalt an Schulen"
 

Medienberichte

Simone Fleischmann im Wortlaut bei Radio Trausnitz:

"Die Schulen nehmen dieses Thema an. Wir reflektieren mit den Kindern Cybermobbing und die Folgen. Wir machen aber natürlich auch Präventionsprogramme zu Gewalt im Allgemeinen: Wie spricht man miteinander? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es, wenn man in Konflikte verwickelt ist? Was kann ich tun?"

"Also das Allerwichtigste ist: Kinder benutzen Begriffe wie Mobbing selbst, und dann muss ich hinhören. als Lehrer, als Freundin, aber natürlich auch die Eltern. Eins darf man keinesfalls machen: Einfach sagen 'Hey, stell dich jetzt mal nicht so an, es wird schon nicht so schlimm sein.' Das geht keinesfalls. Wir müssen bei jedem Jugendlichen, bei jedem Kind, egal wie es das formuliert, hinhören und nachfragen."

 


Simone Fleischmann bei BR24 im Wortlaut:

"Schon seit Jahren weisen wir darauf hin: Das Klima wird rauer. Das gilt auch für Angriffe auf Lehrkräfte."

"Die politische Lage, eine immer hitzigere und aggressivere Gesellschaft, der negative Einfluss von sozialen Netzwerken und der dortige Ton – generell nehmen Hass und Hetze zu."

"Das hängt nicht vom Intellekt ab. Teilweise können übrigens auch Kinder aus besten sozioökonomischen Verhältnissen Konflikte nicht mehr gewaltfrei lösen."

"Es muss nicht immer die Polizei in die Schulen kommen, um über Mobbing und Gewalt aufzuklären. Wir Lehrkräfte können das auch."

"Wir haben immer mehr Aufgaben, aber sind nicht genug dafür."