Sabine Bösl, Grundschulrektorin und Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV  (Foto: Jan Roeder)
Sabine Bösl, Grundschulrektorin und Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV (Foto: Jan Roeder)
Dauerthema "Übertritt" erneut in den Medien Startseite Topmeldung
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Nachhilfe für den Übertritt?

Am 2. Mai gibt es die Übertrittszeugnisse für die bayerischen Viertklässler:innen. Sabine Bösl, Grundschulrektorin und Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV ordnet ein, was der Übertritt in Bayern für die Kinder bedeutet.

Die Aktualität des “Übertritts” befeuert aktuell die Medienberichterstattung. Der BLLV hat das Thema in den letzten Tagen deshalb ebenfalls mehrfach aufgegriffen. Sabine Bösl, Grundschulrektorin und Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV, sprach dazu mit der dpa und kann sowohl ihre fachliche Expertise, als auch die praktischen Erfahrungen aus ihrer Schule einbringen: Vor allem, wenn Kinder mit intensiver Nachhilfe auf das bayerische „Grundschulabitur“ getrimmt werden, seien Probleme oft vorprogrammiert. 

Pauken oder Lernfreude?

Wenn ein Kind alleine an seine Grenzen stoße und nur mit Nachhilfe auf eine höhere Schulform komme, litten durch das ständige Pauken oft Lernfreude und Lebensqualität. In dem Bericht, der unter anderem von der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen wurde, stellte die BLLV-Expertin klar: „Eigentlich sollte ein Kind auf einer Schulart sein, wo es wirklich mit der normalen Anstrengung dem Ziel der jeweiligen Schulart gerecht wird.“ Denn wenn es Kinder an der Grundschule schon nicht so leicht haben, wird es nach dem Übertritt meist nicht besser. Das bedeute normalerweise, dass das Kind auch in den kommenden Jahren Nachhilfe brauchen wird. Oft verstärkten Eltern damit den Druck, den die Kinder ohnehin schon empfinden. 

Jedem einzelnen Kind gerecht werden

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann betont, dass natürlich einige Kinder mit den Anforderungen und auch dem Druck keine Probleme hätten, dass es aber auch um die vielen anderen Kinder geht, die viel mehr leisten könnten und im aktuellen System zurückgelassen werden. Dabei könnten sie so viel erreichen. Allerdings weiß sie auch, wie starr das System ist. “Den Druck empfinden viele Kinder als sehr zentral. Wenn man eine drei schreibt als Schülerin in der vierten Klasse und damit womöglich nicht den Übertritt zum Gymnasium schafft, dann wird es eng und auch in der Familie gibt es Konflikte. Wir müssen aufhören, ‘Leistung’ bei zehnjährigen Kindern auf drei Noten zu reduzieren. Es ist allerdings gar nicht so einfach, ein bestehendes System zu ändern. Aber ich glaube, den Dialog müssen wir führen - allerdings nicht immer nur wenn Wahlen sind oder wenn die Übertrittszeugnisse anstehen. Wir müssen ihn kontinuierlich führen und einfach daran denken, wie viele Kinder wir verlieren und wie viele Kinder ihre Leistung nicht zeigen können, weil der Druck sie kaputt macht”, so die BLLV-Präsidentin.


Besorgniserregende Entwicklung beim Nachhilfeunterricht

Wie auch in den Berichten zum Thema klargestellt wird, gibt es keine belastbaren Zahlen dazu, wie sich der Nachhilfeunterricht entwickelt. Expert:innen und Lehrkräfte sind sich aber größtenteil einig, dass immer mehr Eltern in Bayern für Nachhilfeunterricht bezahlen. Die Branche selbst geht davon aus, dass rund 10 Prozent der Nachhilfeschülerinnen und -schüler noch im Grundschulalter sind. Vor allem aus den vierten Klassen gebe es eine große Nachfrage, um kurz vor dem Übertritt noch Noten zu “retten”. 

Das Übertrittsystem in Bayern ist dieser Entwicklung besonders zuträglich: Hier basiert die Übertrittsempfehlung in der 4. Klasse auf dem Durchschnitt der drei Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachunterricht - eine starre Orientierung, die neben Bayern nur noch Sachsen so handhabt. Erreicht ein Kind den Schnitt von 2,33 für das Gymnasium, beziehungsweise den von 2,66 für die Realschule, nicht, steht ihm der jeweilige Bildungsweg erst einmal nicht offen. Deshalb plädiert der BLLV schon seit langem für eine längere gemeinsame Schulzeit und eine Einbeziehung des Elternwillens in die Übertrittsentscheidung, wie es in fast allen anderen Bundesländern längst gang und gäbe ist.

Bildungs(un)gerechtigkeit in Bayern

Nicht zuletzt verstärkt das “System Nachhilfeunterricht” die Bildungsungerechtigkeit in Bayern, auch wenn man die Bemühungen der Eltern verstehen kann. Bei weitem nicht alle Familien können sich den Nachhilfeunterricht leisten und so wird aus dem bayerischen Sonderweg beim Übertritt das, was die ifo-Studie vom letzten Jahr so klar ergeben hat: Bayern steht im Bundesländerranking auf dem letzten Platz, was die Bildungschancen betrifft.

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