"Nur wenn mein Herz hüpft, lerne ich etwas": Für den BLLV ein Grundsatz gelingender Bildung. Damit das dieser Tage möglich wird, müssen alle zusammenhelfen.
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Schule als Schutzraum vor Krisenangst

Kinder trifft die unsichere aktuelle Lage besonders, sie bringen Sorgen und Ängste mit in die Schule. BLLV-Präsidentin Fleischmann betont: "Schule muss ein geschützter Raum für ihre Nöte sein, aber auch für Freude und Glück“. Entscheidend ist Kommunikation.

Vor lauter Krisen noch Normalität finden, das ist für viele Menschen eine Herausforderung in einer Zeit, in der Ausnahmesituationen zur Regel werden: Corona mit enormen Folgen für Gesundheit und Bildungschancen, ein Krieg mitten im jahrzehntelang scheinbar sicheren Europa, der traumatisierte Menschen zur Flucht zwingt. In der Folge überall spürbare Energieknappheit und eine Inflation, die besonders Familien trifft, deren Alltag schon vorher schwierig war. Was Erwachsene stark fordert, ist für Kinder dabei häufig Anlass zu Sorgen und Ängsten, mit denen umzugehen sie viel weniger Strategien kennen.

Deswegen sind diese Themen auch in den Schulen allgegenwärtig, wie BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit bayerischen Radiosendern schildert: „Wir müssen den Weltkrisen, den Krisen in Deutschland und in Bayern, dem, was die Kinder in ihrer Lebenswelt beschäftigt, in der Schule Raum geben. Dazu muss man erstmal gar nichts tun, denn das kommt alles automatisch mit den Kindern durch die Schultüre ins Klassenzimmer herein. Und da werden wir nicht die Tür zu machen, nein, die Themen stehen mitten im Raum.“

Erstmal: Was ist jetzt zu tun?

Dabei geht es zunächst um den ganz konkreten Umgang im Schulalltag. Nach Wegfall der Maskenpflicht ist beispielsweise Verständnis und Respekt gefordert: „Wir müssen lernen, gut damit umzugehen, dass jeder für sich entscheidet, wie er sich schützt“, sagt Fleischmann. Das gelte im öffentlichen Raum ebenso wie in Schulen.

Auch beim Lüften und zugleich Strom sparen zeigen sich Kinder oft pragmatisch, berichtet die BLLV-Präsidentin: „Energie sparen war schon vor der Energiekrise ein Bildungsziel, das an Schulen gelebt und auch oft in Projekten, oft gemeinsam mit Hausmeistern, umgesetzt wurde. Elektrogeräte und Beleuchtungen automatisch abschalten, Heizenergie sparen – all das ist jetzt natürlich erst Recht Thema. Wenn Schulen Warmwasser haben – und das sind beileibe nicht alle – wird diskutiert: ‘Hey, brauchen wir das jetzt gerade wirklich?‘“

Wenn sich Vorgaben widersprechen, braucht es Transparenz und Kommunikation

Für Lehrerinnen und Lehrer ist es dabei eine enorme Herausforderung, teils widersprüchliche Anforderungen unter einen Hut zu bringen – bei gleichzeitigem Personalmangel: „Wir haben jetzt oft Klassenzimmer, die eng sind, weil aufgrund des enormen Lehrermangels mit vergrößerten Klassen maximal viele Schülerinnen und Schüler drin sitzen“, schildert Simone Fleischmann. „Das heißt, viele Schüler auf engstem Raum in einer Zeit, in der Gesundheitsschutz wegen Corona immer noch ein sensibles Thema ist. Dazu womöglich ein lautes mobiles Luftreinigungsgerät und dann das Fenster offen, aber eigentlich sollten wir doch Strom sparen. Es ist ein schwieriges Konglomerat an Bedingungen, die zu beachten sind.“

Entscheidend ist aus Sicht des BLLV dabei die Kommunikation mit allen an Schule Beteiligten: „Wir müssen uns über die verschiedenen Krisen verständigen“, stellt Präsidentin Fleischmann klar. „Wenn wir uns verständigen über Corona-Maßnahmen, Energiesparmaßnahmen und die Folgen des Lehrermangels, dann werden wir gemeinsam Lösungen finden und dann sagt keiner ‘Was ist hier los? Warum muss ich denn hier jetzt mit der Jacke sitzen?‘ Sondern es heißt: ‘Ich habe verstanden, warum es so ist.‘ Deshalb geht es um Transparenz! Sie ist vor allem gegenüber den Schülerinnen und Schülern wichtig, aber auch gegenüber den Lehrkräften, wenn Entscheidungen für die Schule getroffen werden, und dann auch für die Kommunikation in Richtung Elternhaus. Wir alle zusammen, die Politik, die Eltern, die Lehrer und die Schüler kapieren, in welcher Welt wir gerade leben: in einer Welt, in der nichts mehr so richtig normal ist. Wir sind alle gut beraten, wenn wir darüber reden.“

Kinder sollten nicht die Rechnung zahlen

Das gilt insbesondere für den Lehrermangel, der an Schulen oft das unmöglich macht, was Eltern sich eigentlich zurecht erwarten: „Man kann nur zusammenrutschen, darüber reden und klar machen: ‘Die Erwartungshaltung, die sie als Eltern haben, würde ich gerne erfüllen. Ich würde ihrem Kind gerne mehr geben und es tut mir leid, dass ich keinen Förderkurs für die Lese-/Rechtschreibschwäche ihres Kindes anbieten kann, weil wir keinen Lehrer haben, der diesen Kurs machen kann.‘ Darüber muss man reden. Je weniger wir miteinander reden, desto schärfer werden die Krisen und umso schwieriger wird es, sie durchzustehen. Wir müssen die Erwartungshaltung gemeinsam anpassen.“ Der Wunsch von Simone Fleischmann: „Machen wir keine gegenseitigen Schuldzuweisungen, sondern helfen wir zusammen!“

Bei der Abwägung der Anforderungen, die sich aus den verschiedenen Krisen ableiten, sind dabei aus Sicht der BLLV-Präsidentin umso mehr die Prioritäten entscheidend: „Die Systemrelevanz der Schulen ist spätestens mit Corona sehr deutlich geworden“, so Fleischmann. „Es muss klar sein, dass wir Einrichtungen sind, in denen es nicht zuvorderst um Energiesparmaßnahmen geht, sondern zuvorderst um gute Bildungsangebote – mehr denn je nach mehr als zwei Jahren Corona mit den entsprechenden Einschränkungen. Darauf müssen wir sensibel schauen, denn das Wichtigste ist die Bildung der Schülerinnen und Schüler!“

Wo Angst weicht, ist Raum für Freude

Dabei wissen professionelle Pädagoginnen und Pädagogen aber: Mit Angst lernt es sich schlecht. Und neben den konkreten Fragen zum Schulalltag bringen Kinder derzeit eben auch ihre Ängste und Sorgen mit ins Klassenzimmer: „Viele Elternhäuser wissen gar nicht mehr, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen“, weiß Simone Fleischmann. “Das schlägt sich übrigens direkt auf die Kinder nieder. Kinder kriegen mit: Die Mama kauft manche Sachen nicht mehr. Wenn der Papa seinen Job verliert, haben wir dann kein Geld mehr? Kinder haben Angst, wenn Eltern kein Geld haben. Dann hat beispielsweise die Oma Corona, und das Kind denkt: ‘Ich habe schon mitgekriegt, der Opa vom Sebastian ist an Corona gestorben. Was passiert jetzt mit Oma?‘ Und dann ist die Lehrerin nicht da und es heißt, es kommt jetzt jemand, der gar kein Lehrer ist. Was heißt das für mich? Das alles ist in den Kinderköpfen, in den Kinderherzen“, betont Simone Fleischmann.

Also gilt es zuallererst, den Kindern und Jugendlichen Halt zu geben, stellt die BLLV-Präsidentin klar: „Wir müssen all das thematisieren und den Kindern Sicherheit geben. Denn sie brauchen in der Schule Verlässlichkeit und Orientierung. Ein: ‘Du schaffst das!‘ und ‘Wir kriegen das zusammen hin!‘ Wir müssen Mut zusprechen. Denn was wir immer sein müssen, immer waren und immer sein wollen, ist ein geschützter Raum für Kinder – für ihre Nöte, für ihre Sorgen, vielleicht auch für ihre Freude und für das Glück, mit anderen zusammen zu sein.“

Ein Schutzraum lässt sich nur gemeinsam bauen

Denn Schule sollte über das reine Krisen bewältigen hinaus ein Ort sein, an dem das Herz hüpft und der geeignete Bedingungen für ganzheitliches Lernen bietet. Das alles braucht enorme pädagogische Power. Am Einsatz aller an Schule Tätigen mangelt es dabei nicht, aber leider erheblich an der Zahl, schildert Simone Fleischmann:

“All das ist schwierig umzusetzen, wenn wir selber gerade merken, dass uns die Kräfte schwinden, weil wir drei Klassen parallel führen. Wie kannst du bei drei Klassen, zwischen denen du als Lehrerin hin und her springst, den Kindern ein verlässlicher Partner, eine verlässliche Lehrerin sein, ihnen einen Rahmen bieten, einen Schutz- und Schonraum? Diese Frage treibt alle Kolleginnen und Kollegen um, weil wir ja auch selbst keine Normalität mehr kennen: Ob Schule zu Hause wegen Corona, die Kriegssituation mit der Integration von Kriegsflüchtlingen in dieser Massivität mit Brückenklassen. Dazu eben Lehrermangel, sodass in den Ferien schon präventiv wichtige Angebote für die Kinder gestrichen wurden. Dann eine Energie-Krise, die voll zuschlägt, starke Inflation mit Folgen für alle. Das hätte sich vor drei Jahren alles niemand vorstellen können, das sind alles Krisen, die uns schwer beuteln, uns Lehrerinnen, die Gesellschaft und eben auch die Kinder. Und die Kinder brauchen in so einer Situation den Schonraum Schule ganz dringend. Dafür müssen alle zusammenhelfen.“