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„Stattet Schulen so aus, dass sie bei Deutschkenntnissen helfen können!“

Kinder, die nicht gut Deutsch können, stehen im Unterricht vor Herausforderungen, ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer, die sie teilhaben lassen wollen. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert professionelle Förderung statt populistischer Polemik.

„Die Analyse ist richtig, die Maßnahmen sind nicht die richtigen“, sagt Simone Fleischmann in der Rundschau des Bayerischen Fernsehens zur Diskussion über den Vorstoß von CDU-Politiker Carsten Linnemann, der eine Aufschiebung der Einschulung von Kindern mit mangelnden Deutschkenntnissen gefordert hat.

„Wir als Lehrerinnen und Lehrer merken natürlich auch, dass Kinder, die nicht gut Deutsch können, sich schwer tun mitzukommen, und möchten das dann ausgleichen“, sagt Fleischmann zum Ausgangspunkt der Diskussion. „Aber es ist falsch, den Kindern schon am Start klar zu machen: ‚Du gehört hier nicht dazu!‘“, stellt sie im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen klar und fordert stattdessen pädagogische Antworten.

Konzepte sind da, Geld und Personal nicht ausreichend

Die Sprachförderung müsse schon in der frühkindlichen Bildung ausgebaut werden, Konzepte wie Vorkurse und Deutschklassen konsequenter und mit besserer Finanzierung umgesetzt werden, Experten für Spracherwerb und kulturelle Werteunterschiede müssten sowohl an Kitas wie auch an Schulen unterstützen – auch in multiprofessionellen Teams – und der Übergang zwischen Kita und Schule müsse von beiden Seiten intensiver begleitet werden.

„Für uns ist die Lösung also nicht aussortieren, sondern alles daran setzen, um diese Kinder zu integrieren – wir wollen das, wir wissen auch, wir könnten das, wir brauchen aber entsprechende Rahmenbedingungen", beschreibt Fleischmann das Dilemma der Lehrerinnen und Lehrer, die oft alleine vor 24 Kindern stehen und dann nicht so gerecht differenzieren und individuell fördern können, wie es bei starken Unterschieden in Sprachbeherrschung und kulturellen Hintergründen nötig wäre.

Mehr gut qualifiziertes Personal ist dabei natürlich teuer, dessen ist sich die BLLV-Präsidentin bewusst: „Integration kostet Geld“, stellt sie gegenüber dem Radiosender M94,5 klar. „Aber das rentiert sich, weil die Arbeit an Kitas und Schulen immense gesellschaftliche Auswirkungen hat. Wenn die Integration hier gelingt, dann gelingt sie auch gesellschaftlich!“

Integrative Pädagogik stärken

Bezüglich der Finanzierung steht aus Sicht des BLLV die Politik in der Pflicht: „Die Lösung ist eine hohe Professionalität, Pädagogen, die exzellent ausgebildet sind, und viel Förderung, damit wir den einen Kindern und den anderen Kindern gerecht werden“, sagt Simone Fleischmann. „Wir wollen keine Spaltung in der Klasse, wir wollen alle mitnehmen. Dazu braucht es aber optimale Rahmenbedingungen!“

Der für diese Rahmenbedingungen zuständige Kultusminister Piazolo hatte Linnemanns Forderung zwar ebenfalls zurückgewiesen, weil sie Ausgrenzung fördere statt Integration leiste. Allerdings sieht der Kultusminister Bayern mit Vorkursen und Deutschklassen schon jetzt gut genug aufgestellt.

Nicht spalten

Aus Sicht von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann kommt der Politik aber noch eine  weitere wichtige Rolle zu: „Es geht auch darum, wie die gesellschaftliche Stimmung ist, was die Integration angeht“, gibt sie gegenüber M94,5 zu bedenken. „Und da sage ich ganz klar: Wir möchten, dass Politiker Vorbilder sind. Wir wollen, dass Politiker den gesellschaftlichen Kitt der Schule wahrnehmen und fördern, aber keinesfalls entgegengesetzt sagen: ‚Die einen müssen hierhin, die anderen dahin.‘ So stellen wir uns eine integrative Gesellschaft nicht vor und das ist gesellschaftspolitisch gefährlich. Ich erwarte von Politikern, dass sie alles dafür tun, dass diese Gesellschaft integrativer wird und nicht spaltender!“

Carsten Linnemann hatte für sich in Anspruch genommen, dass es ihm darum gehe, einer Spaltung entgegenzutreten, weil die Situation an vielen Grundschulen dazu führe, dass Eltern ihre Kinder lieber auf Privatschulen mit niedrigerem Migrationsanteil schickten. Das führe wiederum zu Parallelgesellschaften.

Vom Kind aus denken

Sein Ansatz, Kinder mit schwächeren Deutschkenntnissen nicht zur Grundschule zuzulassen und Sprachförderung zu verordnen, ist aber schon aus pädagogischer Sicht kontraproduktiv, stellt Simone Fleischmann klar und verweist auf das sogenannte „Sprachbad“ als nachgewiesen effektivstes Instrument im Spracherwerb: „Wir lernen dann gut Deutsch, wenn alle um uns herum Deutsch sprechen!“, erklärt sie im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen.

Vor allem aber würde das von Linnemann geforderte Vorgehen ein fatales Signal an Betroffene senden, meint Simone Fleischmann: „Es geht um jedes einzelne Kind! Ein Kind, das aufgrund seiner sprachlichen Schwierigkeiten von Anfang an merkt: Ich gehöre nicht dazu, ich darf nicht in die Schule, ich muss woanders hin und alle anderen gehen in die Schule – dieses Kind hat in der Integration einen großen Stolperstein erlebt. Es muss der Gesellschaft viel wichtiger sein, wie wir alle Kinder mitnehmen können, wie wir den Kindern zeigen können: Ja, in Bayern, in Deutschland bist du willkommen! Du bist in der Schule willkommen, wir helfen dir! Das muss unsere Benchmark sein, und nicht, wieviel Prozent der Kinder Probleme haben und wen wir wie fernhalten können. Es geht hier um gesellschaftliche Teilhabe!“

» Rundschau-Sendung zum Thema in der BR-Mediathek

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