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Gewalt an Schulen

In einem Gastbeitrag für das Magazin PPP (Psychotherapie in Politik und Praxis) stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar, dass die zunehmende Gewalt an Schulen ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen ist und benennt vier wirksame Gegenmaßnahmen.

Gewalt an Schulen betrifft längst nicht nur das Verhalten der Schüler*innen untereinander, sondern richtet sich zunehmend auch gegen Lehrkräfte. Eine Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung aus dem Jahr 2022 zeigt alarmierende Zahlen: Fast 50 Prozent der Schulleitungen bemängeln, dass Gewalt gegen Lehrkräfte nach wie vor ein Tabuthema ist, obwohl mehr als zwei Drittel (62 Prozent) von Vorfällen wie Beschimpfungen, Drohungen oder Belästigungen in den letzten fünf Jahren berichteten. Besonders problematisch ist, dass viele betroffene Lehrkräfte zu wenig Unterstützung erfahren: Ein Drittel der Schulleitungen gibt an, dass es ihnen nur in Teilen gelungen sei, betroffene Kolleginnen und Kollegen in Fällen von Gewalt ausreichend zu unterstützen.

Gründe für die unzureichenden Unterstützungsmöglichkeiten sind unter anderem die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Eltern und Schüler*innen (78 bzw. 75 Prozent) sowie der hohe bürokratische Aufwand (57 Prozent). Weitere Hürden entstehen durch die Überlastung des Lehrpersonals und eine unzureichende Reaktion von Schulbehörden, was die Lage an vielen Schulen dramatisch verschlimmert.

Diese Entwicklungen verschärfen die Situation erheblich und machen deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Gewalt an Schulen oft nicht die notwendige Aufmerksamkeit bekommt.

Die Sache mit Dino

Auch ich habe die Erfahrung gemacht, wie es ist, mit der Anwendung von Gewalt bedroht zu werden. Damals war ich als Lehrerin und Schulpsychologin in einer Heimvolksschule tätig, einer Mittelschule mit Anbindung zu Wohnheimen und -gruppen für Kinder und Jugendliche. Dino, ein Schüler der achten Klasse, war außergewöhnlich gut im Fach Mathematik und rechnete oft an der Tafel vor. Er konnte komplexe Lösungen anschaulich erklären und war stolz darauf, sein Wissen an seine Mitschüler*innen weiterzugeben. Wir hatten eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung. Auch an diesem Morgen holte ich ihn an die Tafel, doch etwas war anders. Dino war schlecht drauf und kämpfte mit den Aufgaben. Ich merkte, dass er frustriert war, und versuchte, ihn zu ermutigen: „Das wirst du gut hinbekommen.“ Aber er bekam es wider jede Erwartung nicht gut hin. Er wurde wütend, holte aus und wollte mir eine Ohrfeige geben. Ich konnte ausweichen; er traf mich nicht. Als er realisierte, was gerade passiert war, rannte er aus dem Klassenzimmer. Der Schock war groß – sowohl für mich als auch für Dino und die gesamte Klasse.

Natürlich stellte ich mir damals die Frage, ob ich als Lehrkraft versagt hatte, was ich übersehen hatte und wie ich eine solche Situation hätte vermeiden können. Heute weiß ich, dass auch Dino nach einer Erklärung für sein impulsives und gewaltvolles Verhalten suchte. Es wurde schnell klar, dass die Wut, die er an mir ausließ, nicht gegen mich persönlich gerichtet war. Sie galt seiner Mutter, die ihm schwere Gewalt zugefügt und ihn missbraucht hatte. Für ihn war Gewalt ein Mittel, mit Konflikten umzugehen, da er andere Bewältigungsstrategien noch nicht entwickelt hatte.

Gewalt an Schulen: Hintergründe, Ursachen und Bewältigungsstrategien

Die Ursachen für gewaltvolles Verhalten liegen oft außerhalb der Schule und sind nicht immer leicht nachvollziehbar. Während eine Auseinandersetzung zwischen Schüler*innen vor Ort relativ einfach zu klären ist, sind Gewalterfahrungen im Elternhaus oder in digitalen Räumen viel schwieriger nachzuvollziehen und zu adressieren. Kinder und Jugendliche orientieren sich an Vorbildern, und was Lehrkräfte täglich in den Schulen erleben, ist oft ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen. Wenn wir betrachten, wie sich Eltern in Konfliktsituationen verhalten und wie die Gesellschaft insgesamt auf Gewalt reagiert, wird deutlich, dass Jugendliche diese Muster übernehmen.

Auch in den Sozialen Medien sind Gewaltdarstellungen allgegenwärtig. Diese reichen von verbalen Angriffen und Cybermobbing bis hin zu extremen Bildern und Videos, die die Hemmschwelle für gewalttätiges Verhalten senken können.

Medienerziehung und Gewaltprävention an Schulen sollten daher Hand in Hand gehen, um den Schüler*innen zu helfen, konstruktive Wege der Konfliktbewältigung zu erlernen und den Umgang mit digitalen Inhalten kritisch zu reflektieren. Es ist wichtig, ihnen beizubringen, dass Gewalt niemals eine Lösung und respektvolle Kommunikation auch in digitalen Räumen notwendig ist.

Dank der guten multiprofessionellen Zusammenarbeit und Aufarbeitung des Geschehenen konnten wir die Dinge hinter uns lassen und gestärkt aus der Situation herausgehen. Obwohl der Vorfall mit Dino letztlich glimpflich ausging, zeigt diese Erfahrung, wie wichtig es ist, Gewalt nicht nur zu benennen, sondern auch auf allen Ebenen der Schule wirksame Strategien zur Prävention und Unterstützung zu entwickeln.

1. Forderungen an die Politik für ein sicheres und gewaltfreies Schulumfeld:
Um Schulen zu einem sicheren und gewaltfreien Ort für alle zu machen, sind klare politische Maßnahmen erforderlich. Die Politik muss endlich Verantwortung übernehmen und die notwendigen Ressourcen bereitstellen, um Lehrkräfte und Schüler*innen vor Gewalt zu schützen und die Situation an den Schulen nachhaltig zu verbessern.

2. Förderung multiprofessioneller Teams:
Multiprofessionelle Teams müssen stärker unterstützt werden, besonders in den Bereichen, in denen die Herausforderungen am größten sind. Präventive Maßnahmen durch interdisziplinäre Teams,
bestehend aus Lehrkräften, Schulpsycholog*innen, Sozialpädagog*innen und weiteren Fachkräften, sind unverzichtbar, um frühzeitig Konflikte zu erkennen und Gewalt vorzubeugen.

3. Mehr Beratungslehrkräfte und Schulpsycholog*innen:
Ein Ausbau der Beratungsangebote in Form von zusätzlichen Schulpsycholog*innen und Beratungslehrkräften ist notwendig, um den Bedürfnissen der Schüler*innen und Lehrkräfte
gerecht zu werden. Es gilt, nicht nur in akuten Krisensituationen zu intervenieren, sondern auch präventive Programme zur Gewaltprävention und sozialen Kompetenzentwicklung anzubieten.

4. Flächendeckende Versorgung mit Therapeut*innen:
Es muss ein landesweit flächendeckendes Versorgungsnetz für therapeutische Unterstützung geschaffen werden. Die Wartezeiten sind bei therapeutischen Angeboten oftmals viel zu lang.
Eine schnelle und unbürokratische Versorgung durch ausreichend ausgebildete Therapeut*innen ist dringend erforderlich, um den betroffenen Schüler*innen und Lehrkräften zu helfen.


Jahre, nachdem Dino die Schule verlassen hatte, traf ich ihn zufällig in der Stadt wieder. Die Wiedersehensfreude war groß, denn wir haben einen guten Umgang gefunden, wie wir mit den Erfahrungen umgehen.


<< Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin

Dieser Beitrag erschien in “PPP - Psychotherapie in Politik und Praxis” 01/2025, dem Magazin des bvvp (Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten e.V.)