SF_Frage_169.jpg
Wenn Studierende Vollzeitlehrkräfte ersetzen Startseite Topmeldung
Arbeitsbedingungen Bildungsqualität Referendariat Übertritt

„Würden wir Architekturstudenten alleine Brücken bauen lassen?“

Studierende unterrichten zu viel – mit alleiniger Verantwortung für Noten und Übertritt oder gar als Klassenleitung. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Das ist unprofessionell, kostet Bildungsqualität und erschwert die nötige professionelle Ausbildung.


Aus der Sicht von Lehramtsstudierenden, die ihr Studium finanzieren wollen, liegt die Entscheidung nahe, erläutert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: „Trage ich Teller durch die Gegend oder gehe ich schon in das Feld, in dem ich später mein Leben lang tätig sein werde? – Da liegt die Antwort doch auf der Hand.“

Weil die Politik aber zugleich trotz ständiger Warnungen versäumt hat, effektive Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel zu ergreifen, wird diese Bereitschaft inzwischen in einem Maß ausgenutzt, der für die Bildung der Kinder und auch für den Berufsweg der angehenden Lehrkräfte höchst problematisch ist, wie die BLLV-Präsidentin im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk klarstellt:

„Wir im BLLV machen uns große Sorgen ob des Einsatzes der jungen Kolleginnen und Kollegen, der Lehramtsstudierenden, als Vertretungslehrkräfte bei uns an den Schulen. Es sind verdammt viele mit vielen Stunden! Es gibt Studierende, die Noten geben, die Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen erteilen, die fürs Vorrücken verantwortlich sind oder gar als Klassenleitung agieren. Das sind alles hoheitliche Aufgaben, die bereits von jungen Studierenden gestanden werden. Das ist fatal für die Professionalität des Berufs. Das ist ein Vergehen an diesen jungen Leuten und an der Bildungsqualität an den Schulen. Außerdem werden alle Kolleginnen und Kollegen, die diese jungen Leute mitnehmen müssen, ausgenutzt, ihnen mal schnell beizubringen, wie man eine Schulaufgabe schreibt, ihnen zu erklären, wie man ein Projekt organisiert, wie man KI nutzt, wie man mit Schülern auf Ausflüge geht. Denn das machen die alles nebenbei.“

Wie wichtig ist uns Bildung wirklich?

Grund ist aus Sicht der BLLV ganz klar der akute Lehrkräftemangel: „Wir sind zu wenige“, mahnt Simone Fleischmann. „Hätten wir nicht schon seit Jahren eklatanten Lehrermangel an Grund-, Mittel- und Förderschulen, würde niemand auf die Idee kommen, einen Lehramtsstudierenden aus dem zweiten Semester 14 Stunden in der dritten Klasse unterrichten zu lassen. Wenn aber keiner da ist, wer soll dann den Unterricht halten? Die Schulleitungen sagen natürlich schon auch: ‘Oh Mann, ich weiß, das ist nicht der richtige Einsatz für so eine Kollegin im dritten Semester. Aber was hilft es mir denn? Ich möchte die Kinder nicht nach der vierten Stunde nach Hause schicken.‘ In einer solchen Mangelsituation greifst du also nach jedem Strohhalm. Dann kommt man zu solchen scheinbar kreativen Lösungen – die für uns aber keine Lösungen sind!“

Denn obwohl die Politik nicht müde wird, die Bedeutung der Bildung für unser aller Zukunft in Sonntagsreden zu betonen, sieht das konkrete Agieren zu häufig ganz anders aus. Da lohnt der Vergleich mit anderen Berufen, findet BLLV-Präsidentin Fleischmann: „Wir müssen uns mal überlegen, ob wir wollen, dass ein Architekt, der noch im Studium ist, mal ganz schnell eine Brücke baut oder ein Jurastudent das Gerichtsurteil verfasst. Oder vielleicht sogar, wenn wir gerade mal im Krankenhaus liegen, ein Medizinstudierender im zweiten Semester eigenverantwortlich die Operation durchführt. Wenn wir so etwas in der Bildung machen, geht das zulasten der Kinder. Wir sehen ohnehin schon Probleme bei den Mindeststandards an den Grundschulen. Mit so etwas wird die Bildungsqualität weiter untergraben.“

„Mach einfach irgendwie“ ist keine praxisorientierte Ausbildung

Das Argument, dass Studierende von den Erfahrungen als Aushilfskräfte vor allem profitieren würden, lässt Simone Fleischmann für die derzeitige Arbeit nicht gelten – denn die ist ein erzwungener Sprung ins kalte Wasser und keine fundierte Ausbildung: „Wir fordern professionalisierte Praktika, gute Begleitung, individuelles Feedback für junge Kolleg:innen durch erfahrene Lehrkräfte aus der Praxis – eine reflektierte Praxis an den Universitäten, eine angemessene Begleitung und ein Höchststundenmaß. Es kann doch nicht sein, dass jemand neben dem Studium 14 Stunden unterrichtet! Einige schmeißen dann übrigens das Studium hin, weil sie teils die Prüfungen nicht mehr schaffen, weil sie nicht in den Vorlesungen waren, sondern in der Zeit unterrichtet haben.“

Der höchst zweifelhafte Umgang mit den Studierenden ist damit eine Folge des Lehrkräftemangels – der dann genau diesen weiter zu verstärken droht, warnt Simone Fleischmann: „Wir können es uns gar nicht leisten, diese jungen Kolleginnen nicht auf lange Strecke in höchstem Maß professionell auszubilden. Wir brauchen sie nämlich ein Leben lang! Deswegen können wir keinesfalls riskieren, dass sie schon in frühen Jahren den Eindruck bekommen, sie werden dem nicht gerecht.“

Der MP greift lieber in den Giftschrank

Langfristig muss es also darum gehen, mehr Nachwuchs für den Lehrberuf zu gewinnen, damit Studierende nicht zum Löcher stopfen verdammt sind, statt professionell auf ihre verantwortungsvolle Arbeit vorbereitet zu werden. Doch leider steuert Bayern derzeit in die Gegenrichtung, kritisiert Simone Fleischmann: 

„Wir müssen alles dafür tun, dass dieser Beruf attraktiver wird. Wenn aber Ministerpräsident Söder die familienpolitische Teilzeit für die Kolleginnen und Kollegen einschränkt, wenn er die Attraktivität dieses Berufs schmälert, dann werden nicht mehr junge Menschen diesen Beruf ergreifen, sondern weniger. Dann muss er mit den Konsequenzen rechnen: Dass zum Beispiel Studierende schon in den unteren Semestern viel unterrichten – aber leider nicht professionell…“

» zum Bericht bei BR 24: „Studierende als Lehrer: Aushilfsjobs gefährden Studienerfolg“

In den Netzwerken