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Bildungspolitik: Wunsch und Wirklichkeit im Wahljahr 2023

„Wir schaffen das! Eben nicht!“ war das Motto des Pressegesprächs, mit dem BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann und der 1. Vizepräsident Gerd Nitschke auch medial das Jahr 2023 eröffneten. Mit dabei: Die Vertreter der führenden Medien in Bayern und Deutschland.

Beim Hintergrundgespräch, das als Presse-Brunch im Café Glockenspiel in München stattfand, ging es nicht um einfache Lösungen oder schnelle Schlagzeilen. Es war ein Hintergrundgespräch im besten Sinne. Gemeinsam mit führenden Medienvertretern sollte die mediale Agenda des Wahljahres abgesteckt und die Bildungspolitik beleuchtet werden. So wie sie ist und so wie sie sich im Wahljahr noch entwickeln kann – oder muss, oder soll? Vieles ist offen, aber die Bildungspolitik wird zum Wahlkampfschlager, wie erst kürzlich die SZ titelte. Und der BLLV wird hier natürlich mit Haltung und klar vernehmbarer Stimme mitgestalten. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: “Keine Äußerung, die wir jetzt von Politikern hören, nehmen wir einfach so für bare Münze! Wir schauen hin, wir fragen nach und wir parieren politische Manöver, wenn es sein muss. Wir lassen uns nicht instrumentalisieren als BLLV und wir schauen genau hin, welcher Politiker sagt an welcher Stelle warum, was?“

Trotzdem, oder gerade deswegen, ging es natürlich um die aktuellen Themen und die Schatten, die sie schon jetzt werfen: Gewalt im Alltag, der Lehrkräftemangel und die aktuellen Ankündigungen von Ministerpräsident Markus Söder, die Zukunft der Lehrerbildung oder der Einzug der KI in die schulische Bildung und in die Klassenzimmer – verbunden mit der Frage, wie die Schule adäquat, besonnen und zukunftsorientiert damit umgeht.

Was soll und kann Schule jetzt eigentlich noch leisten?

Hintergrund des gemeinsamen Gesprächs war die aktuelle Situation an den Schulen und die Frage, was jetzt eigentlich noch möglich ist an den Schulen und was die Erwartungshaltung ist.

„Es wird von der Politik definiert, was wir als Lehrerinnen und Lehrer alles tun sollen. Und wir wollen jetzt sehr gerne für unsere Kolleginnen und Kollegen einfach mal sagen: Das geht so eben nicht mehr. Und zwar nicht im Sinne von ‚Jetzt sind alle am Ende und im Burnout und keiner macht mehr was‘, sondern im Sinne von ‚Die Ansprüche, die an die Schule gestellt werden, können die Kolleginnen und Kollegen vor allem im Mittel- und Förderschulbereich so aktuell nicht umsetzen‘. Es geht nicht, und zwar fast überall nicht. Und etwas anderes zu erwarten, ist eben unrealistisch und irreführend“,  so Simone Fleischmann.

Auch deswegen wird die Landesdelegiertenversammlung in Würzburg im Mai dieses Jahres eine politische LDV. Und auch Ministerpräsident Markus Söder wird dort neben vielen anderen eine Bühne haben. Und der BLLV wird genau hinhören, welche Themen, Fragen und Lösungen er mitbringt. „Wir jedenfalls sagen im Wahlkampf ganz genau, wie wir die Bildungssituation an den Schulen einschätzen. Wir wollen damit das eine Ziel erreichen, nämlich, dass die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Eltern ihre Erwartungshaltung an die Schule herunterschrauben. Das ist unsere kurzfristige, ganz klare Forderung. Wenn man merkt, es werden mehr Kinder und mehr Aufgaben bei viel zu wenigen Lehrern, dann kann ich nicht noch mehr Herausforderungen in die Schule geben und kann die Lehrerinnen und Lehrer nicht immer weiter in die Pflicht nehmen, weil das erdrückt uns“, so Simone Fleischmann. Sie stellt aber auch klar, dass die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen alles geben wollen, dass sie politische Bildung und Inklusion und individuelle Förderung bieten wollen und dass sie wissen, was die Kinder brauchen, dass aber eben vieles nicht möglich ist, wenn statt zwei Lehrkräften in der Klasse, ein Mensch zwei oder drei Klassen gleichzeitig unterrichtet.

Zwischen Inklusion und Ausgrenzung: Die Gewaltdiskussion nach der Silvesternacht

Auch zur Diskussion rund um die Silvesterkrawalle bezog der BLLV klar Stellung. Simone Fleischmann: „Mich persönlich hat die Diskussion sehr geärgert, auch und gerade wegen meiner neuen Position im dbb auf Bundesebene - vor allem die Äußerungen, die einige der politisch Verantwortlichen recht schnell und auch gleich mit vermeintlich schnellen und einfachen Lösungen gebracht haben. Nach dem Motto: Also wenn man hätte verhindern wollen, dass Jugendliche so sind, dann hätte halt die Schule das mal besser machen müssen. Ja, wir haben den Auftrag der Erziehung und der Bildung. Aber es handelt sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Der erste Teil der Antwort ist ganz klar: Es ist für uns selbstverständlich, dass wir als Lehrerinnen und Lehrer täglich Vorbild sind, auch in der Art und Weise, wie wir mit Krisen umgehen, wie wir damit umgehen, wenn es im Pausenhof Gewalt gibt. Natürlich wissen wir ob unserer Vorbildfunktion und selbstverständlich wissen wir, dass wir die Demokraten von morgen bilden. Jawohl, uns ist das bewusst. So wie wir Schule machen, hätten wir eine Riesenchance, Kinder und Jugendliche als Demokratinnen und Demokraten zu erziehen. Das ist ein riesen Aufgabenfeld und besonders wichtig für die Schülerinnen und Schüler, die aus sozial und finanziell prekären Verhältnissen kommen. Klar ist für uns aber auch, wenn die Gesellschaft und die Politik und alle sich einig sind, dass Schule das tun soll, dann brauchen wir eine Lösung dafür, wie wir das bewältigen können. Dann brauchen wir mehr Lehrkräfte und mehr Wertschätzung oder müssen andere Aufgaben reduzieren. Denn wir sagen klar: Ja, die Kinder brauchen mehr Aufmerksamkeit.“

Statement zu "Gewalt im Alltag" von BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann

Lehrkräftemangel – Status quo und Auswege

Komplex wurde es beim Thema Lehrkräftemangel oder vielmehr dessen Beseitigung. Auch der Ministerpräsident hatte den Lehrkräftemangel auf höchster Ebene erst kürzlich anerkannt und Maßnahmen angekündigt, darunter auch die Abwerbung von Lehrkräften aus anderen Bundesländern. Ein Thema, das nicht nur auf Ablehnung anderer Bundesländer stieß, sondern auch die Frage aufwarf inwiefern das überhaupt machbar und realistisch ist. Beleuchtet wurde der Themenkomplex im Pressegespräch von Gerd Nitschke, 1. Vizepräsidenten des BLLV. Denn dass alleine in diesem Jahr 4.000 Lehrkräfte fehlen – und zwar nur im Grund- und Mittelschulbereich – hatte der BLLV schon im letzten Jahr dargelegt, auch wenn das Kultusministerium diese Zahl nicht anerkennen mag. Dazu kommt die Situation an den Gymnasien, denn für die Umstellung auf das G9 hatte man 1000 Stellen für 2025 in den Haushalt eingestellt. Vor zwei Jahren aber hat das Kultusministerium die Genehmigung erhalten, diese 1000 Stellen „vorübergehend“ für Flüchtlinge, unter anderem aus der Ukraine und für andere aktuelle Bedarfe zu verwenden. Das heißt, diese 1000 Stellen fehlen bereits jetzt wieder – faktisch sowie im Haushalt.

 „Wenn wir von 4.000 Lehrkräften sprechen, die in diesem Jahr an Grund- und Mittelschulen fehlen, dann sprechen wir von qualifiziert ausgebildeten Leuten, die wir dringend brauchen. Natürlich wurde alles irgendwie abgedeckt durch Studierende, durch Pensionierte, durch Schulassistentinnen und viele mehr. Aber da merken Sie schon, wie viele Maßnahmen da jetzt greifen sollen. Und das ist für uns ein markanter Punkt. Wenn Sie Eltern fragen: ‚Wer unterrichtet bei dir das Kind?‘, dann wissen die in der Regel nicht, ob das eine qualifizierte Lehrkraft ist oder irgendwer anders. Und das ist für uns sehr markant und deswegen muss man hier ganz genau hinschauen“, so Gerd Nitschke.

Medienbericht

Simone Fleischmann im Wortlaut: "Nachholen, aufholen, Fehler bei Kindern ausmerzen, Defizite reinholen, Kompetenzen sind nicht da: Das beschäftigt die Lehrerin und den Lehrer jeden Tag. Wir merken, dass diese zweieinhalb, drei Jahre Corona an keinem Kind spurlos vorübergegangen sind. Der eine hat klare Kompetenzdefizite. Und wie machen wir das jetzt? Mehr Herausforderungen bei weniger Lehrern und neuen zusätzlichen Themen? Das schaffen wir nicht."

Bedarf ist noch höher, Abwerben nicht realistisch

Zur komplexen Situation kommt jetzt, dass Ministerpräsident Söder kürzlich 8.000 neue Stellen versprochen hat, davon 6.000 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer. Das ist schön, aber Nitschke erläutert: „Das ist praktisch gerade mal das, was wir brauchen, um den Bedarf durch steigende Schülerzahlen und Flüchtlingskinder zu decken. Also wir werden garantiert in der nächsten Wahlperiode mehr Stellen brauchen als diese 6.000. Dazu kommen dann Schulpsychologen und Sozialpädagogen, die wir dringend brauchen, aber hier werden wir bei weitem nicht alle Stellen besetzen können. Bleiben voraussichtlich noch rund 1.000 Stellen für Verwaltungskräfte, was wir sehr begrüßen, denn das ist eine Entlastung der Schulleitungen in Bereichen, in denen wir nicht immer Lehrkräfte einsetzen müssen – beispielsweise im Datenschutz oder der Systembetreuung. Die Lehrerstunden, die wir damit wieder ‚zurückholen‘ könnten, könnten wir dann natürlich auch in Unterricht umsetzen.“

Begrüßt wurde im Gespräch, dass derzeit eine weitere Einschränkung der Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte, wie sie kürzlich noch diskutiert wurde, kein großes Thema mehr ist. Von den Anwerbeversuchen von Lehrkräften aus anderen Bundesländern dagegen hält Nitschke nichts. Zu groß seien bürokratische Hürden, Kosten- oder Gehaltsnachteile und viele andere Faktoren. Was es braucht seien attraktive Arbeitsbedingungen, Überstundenausgleich, Entbürokratisierung und Besoldungsgerechtigkeit, um den Lehrkräftemangel zu beheben. Und das sei dringend nötig, denn vor allem in der Mittelschule seien laut Lehrerbedarfsprognose noch für zehn Jahre die Zahlen verheerend!


Mehr Lehrkräfte durch flexible Lehrkräftebildung?

Gerade in letzter Zeit wurde eine Flexibilisierung der Lehrerbildung öfter ins Gespräch gebracht: als Lösung für den Lehrermangel. Aber stimmt das so? Eines machte Simone Fleischmann zu Beginn des Themas gleich klar: Der BLLV will keine Einheitslehrerin und keinen Einheitslehrer! Und: Der BLLV hat als einziger ein klares Konzept, um Lehrkräften eine Orientierung zu ermöglichen, den Praxisbezug zu verbessern und eine zukunftsfähige Ausbildung zu ermöglichen. Dazu Simone Fleischmann: „Wenn der Ministerpräsident jetzt das große Rad der Lehrerbildung drehen will, dann ist es sein Ziel, die Lehrkräfte flexibel zwischen den Schularten hin und her zu schieben. Uns geht es aber darum, die Lehrerbildung qualitativ zu verbessern. Und es geht darum, dass Studierende die Schularten kennenlernen und sich erst dann entscheiden, wo sie unterrichten wollen. Das verstehen wir unter Flexibilisierung. Und ich will hier eines ergänzen. Das Narrativ, das immer erzählt wurde, nämlich dass die Lehrerbildung so unterschiedlich sei – zum Beispiel bei den Mittelschullehrern und den Realschullehrer – ist ein Märchen. Das entspricht nicht mehr der Realität. Die Ausbildung ist sowohl inhaltlich als auch qualitativ und quantitativ von allen Bausteinen der Lehrerbildung in der Mittelschule genauso wie die an der Realschule. Und das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn jetzt alle vor Vereinheitlichung und mangelnder Differenzierung in der Ausbildung warnen.“

Auch der teils große Widerstand gegen die Einführung von A13 für alle ist vor diesem Hintergrund natürlich schwer zu verstehen. Vor allem, da beides gemeinsam – Besoldungsgerechtigkeit und eine flexible Lehrerbildung – durchaus ein langfristiges Werkzeug ist gegen den Lehrkräftemangel. Dazu Simone Fleischmann: „Ja, wenn du die Lehrerbildung so organisierst, dass ein junger Mensch sagt: ‚Ich werde qualifiziert für den Beruf an der Mittelschule. Ja, da gibt es auch ganz interessante Bausteine, in der Lehrerbildung. Es gibt auch eine Modularisierung, eine Spezialisierung‘. Wenn du am Ende des Studiums fit bist für Inklusion, für Integration, für Digitalität, dann ist das gut und spannend und richtig. Man muss auch einfach in die Tiefe denken.  Und wenn wir dann auch noch Besoldungsgerechtigkeit haben, dann ist auch wieder Platz für die ganz außergewöhnlichen Aspekte des Lehrerinnen-Daseins, die es so in keinem anderen Beruf gibt: Neulich traf ich eine Schülerin, die mir um Hals gefallen ist – und ich ihr auch. Sie hat mir dann erzählt, dass sie jetzt das Hotel der Eltern übernommen hat und dass sie ganz viele Leute einstellt. Und dass das einfach toll ist in ihrem Leben. Und wenn die dann noch sagt: ‚Wenn ich Sie nicht gehabt hätte in der Schule‘. Das ist Wahnsinn. Da wachse ich um sieben Köpfe. Ja, es ist der schönste Beruf. Und wenn du einem Kind begegnest, das jetzt eine junge Frau ist und dir strahlend entgegenkommt, dann ist das natürlich schön. Du bekommst als die, auf die zugegangen wird, so viel zurück. Und wenn es davon wieder mehr gibt, dann mache ich auch selbst wieder viel mehr Werbung für diesen Beruf!“

Das flexible Lehrerbildungsmodell des BLLV

Zwischen Jugendarmut, KI, New Work und Migration

Die Vielzahl der Themen in diesem Pressefrühstück lässt sich in einem einigen Artikel kaum abbilden, auch weil die Journalisten und Journalisten engagiert nachgefragt und diskutiert haben und in den engen Austausch gegangen sind zu all den Themen die uns dieses Jahr begleiten. KI und speziell Chat GPT an der Schule waren hier ein Thema, das die Medien bewegt – und eines, zu dem der BLLV eine klare Haltung hat: Zukunft gestalten statt aufhalten wollen. Auch die Bedürfnisse der Jugend, die nach Corona und dem Ukraine-Krieg, nach Sicherheit und finanzieller Absicherung strebt, waren ein Diskussionsthema. Das gleiche gilt für den Lehrerberuf als modernes Berufsbild (New Work?), weitere Maßnahmen gegen den Lehrermangel oder regionale Aspekte der Bildungspolitik in Deutschland. Simone Fleischmann beendete das Gespräch mit einem Ausblick auf das Jahr das vor uns liegt: „Es wird ein bildungspolitisches Jahr und wir haben heute sehr viele Themen eröffnet, die uns das ganze Jahr begleiten werden. Wir freuen uns darauf, hier immer wieder im Kontakt zu sein, und sie können sich darauf verlassen, dass wir von uns hören lassen. Es geht um viel in diesem Wahljahr und wir sind immer bereit über Themen zu diskutieren und noch mehr sind wir bereit für die richtigen Positionen und die Bildung in Bayern zu kämpfen.“

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