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Söders Bewegungs-Halbe-Stunde: „So geht’s nicht weiter!“

Gewohnt öffentlichkeitswirksam im Olympiastadion hat MP Söder Schulen ab September eine „Bewegungs-Halbe-Stunde“ verordnet. BLLV-Präsidentin Fleischmann warnt vor Überfrachtung der Schulen mit gesellschaftlichen Wünschen und Zerstückelung des Schulalltags.

Der Tag eines echten Spitzenpolitikers hat mehr als 24 Stunden. Nur schade, dass der Bayerische Ministerpräsident daraus scheinbar folgert, dies gelte auch für den Tag von Grundschulkindern. Denn nach der ebenso schon höchstpräsidial von oben dekretierten Verfassungsviertelstunde folgt nun die „Bewegungs-Halbe-Stunde“ – gewohnt maximal öffentlichkeitswirksam verkündet im Münchner Olympiastadion im Kontext einer geplanten Bewerbung für olympische Spiele im Freistaat.

Natürlich ist unstrittig, dass politische Bildung und der Schutz der Demokratie hochpressante gesellschaftliche Aufgaben sind. Ebenso, dass sich Menschen in Deutschland insgesamt weniger bewegen als gesund wäre. Aber sollen Schulen wirklich Reparaturbetrieb für alles sein? Das funktioniert nicht, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit Antenne Bayern über Söders neuen Schnellschuss klar: „Erst die Verfassungsviertelstunde, dann die Bewegungs-Halbe-Stunde - Ja, Bewegung ist wichtig, Musik ist wichtig, Sport ist wichtig, die Demokratie auch, Fahrrad fahren auch, Schwimmen auch. Aber so geht es einfach nicht weiter!“

Konzept? Schau mer mal…

Denn es könnten schnell sehr lange Tage für die kleinsten Schulkinder werden, wenn Söders Vorstellung davon, wie wichtige Ziele pädagogisch umzusetzen seien, weiter in unausgegorene und unabgesprochene Adhoc-Ansagen münden. Wer nämlich gehofft hat, für die Bewegungs-Halbe-Stunde existiere wenigstens schon ein durchdachtes Konzept, höre nun: Es geht zwar im September los, verkündet Söder, das Konzept werde vom Kultusministerium aber erst noch erarbeitet.

Ähnlich lief es auch bei der Verfassungsviertelstunde und den Sprachstandserhebungen. Zu welch peinlichem Chaos das beispielsweise bei Letzterem führte, hat der BLLV aufgezeigt und scharf kritisiert. Söder legt die Ausgestaltung seiner neuen Idee derweil freundlicherweise erstmal in die Hände der Lehrkräfte und liefert erste Anregungen mit: Es müsse nicht im Sportunterricht sein. Man könne ja auch mal im Unterricht tanzen.

Wenn alles wichtig ist, ist am Ende nichts wichtig

Dabei weiß jede Grundschullehrkraft auch so, dass gerade bei den Kleinsten ein Wechsel von mentalen Konzentrations- und Entspannungsphasen Grundvoraussetzung ist, um überhaupt erfolgreich Lerninhalte vermitteln zu können. Entsprechend werden Bewegungsphasen schon jetzt organisch in den Unterrichtsalltag integriert.

Aus professioneller Sicht wäre jedenfalls angezeigt, die zahlreichen Fragestellungen, die sich aus aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ergeben, in ein integriertes Gesamtkonzept zu überführen und sich ganz grundsätzlich Gedanken darüber zu machen, was der Auftrag von Schule heute sein muss, um junge Menschen fit für die Welt zu machen, in der sie jetzt und in Zukunft leben werden. BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert: „Irgendwann müssen wir die prinzipielle Frage stellen: Was will Schule eigentlich leisten? Was soll Schule eigentlich leisten?“

Ganzheitlich bilden statt Schulleben zerstückeln

Wenn über diese Fragen ein breiter gesamtgesellschaftlicher Konsens hergestellt wird – und dafür ist möglicherweise ein präsidiales Dekret nicht die richtige Methode – sind die daraus folgenden prioritären Ziele im Sinne eines echten Bildungserfolgs unbedingt organisch in den Schulalltag zu integrieren und nicht in künstlich segmentierten Zeitblöcken abzufrühstücken. Der BLLV hat im Konsens mit erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen vielfach aufgezeigt, dass beispielsweise das Ziel, junge Menschen zu reflektiert und verantwortlich handelnden Demokratinnen und Demokraten zu erziehen, am besten mit täglich gelebter Partizipation im Schulalltag zu erreichen ist. Entscheidend ist, dass Schülerinnen und Schüler konkret persönlich erfahren, wie demokratische Prozesse, an denen sie sich auf Klassen- und Schulebene beteiligen, auf die gesamte Gemeinschaft und sie selbst zurückwirken.

Pädagogische Profis sprechen in solchen Kontexten dementsprechend von Querschnittsaufgaben, weil sie nicht in singulär thematisch festgelegten Unterrichtsegmenten im 15-Minuten-Takt erfüllbar sind, sondern fächerübergreifend implementiert und in den Schulkontext insgesamt integriert werden müssen.

Was kommt als nächstes?

Wenn das nicht geschieht und stattdessen munter weiter mit willkürlich festgelegten Zeitblöcken um sich geworfen wird, droht eine „Zerstückelung des Schulalltags“, warnt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann und fragt entsprechend: „Wann kommt die nächste Viertelstunde, und für was dann eigentlich?“

Diese Frage wird derzeit auch in bayerischen Lehrerzimmern öfter diskutiert – nicht nur mit Kopfschütteln, sondern gerne auch mal mit Augenzwinkern. Favorit derzeit: die Bratwurstviertelstunde.

» zum Beitrag von Antenne Bayern: „Lehrerverband kritisiert Söders Plan zur täglichen Bewegungs-Halbe-Stunde an Bayerns Grundschulen“