Schon auffällig. Immer an Tagen mit vorher angekündigten Leistungsnachweisen fehlen viel mehr Schülerinnen und Schüler als üblich. Dieses Phänomen tritt quer durch alle Jahrgangsstufen auf. Ein Kollege wirft den sarkastischen Begriff „Probenfieber“ in die Runde. Ein anderer regt an, für alle Kinder der Mittelschule eine generelle Attestpflicht an Probentagen auszusprechen und diese auch in die Hausordnung aufzunehmen. In der Lehrerkonferenz werden jedoch auch Zweifel laut, ob dies nicht einer Misstrauenskultur Vorschub leiste und ob die gültige Rechtslage eine derart weitreichende Maßnahme überhaupt hergebe.
Die Rechtslage
Der maßgebliche Paragraph ist § 20 Absatz 2 Satz 1 BaySchO (Bayerische Schulordnung). Er besagt: „Die Schule kann die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses verlangen 1. bei Erkrankung von mehr als drei Unterrichtstagen oder am Tag eines angekündigten Leistungsnachweises oder 2. wenn sich krankheitsbedingte Schulversäumnisse einer Schülerin oder eines Schülers häufen oder Zweifel an der Erkrankung bestehen.“
Diese beiden Punkte enthalten vier Fallgruppen, bei denen ein Attest verlangt werden kann. Der Kommentar von Pangerl zur MSO präzisiert:
- „bei durchgehender Erkrankung von mehr als drei Unterrichtstagen, auch wenn zwischen den Unterrichtstagen ein Wochenende oder ein Feiertag liegt;
- bei Erkrankung am Tag einer angekündigten (schriftlichen) Leistungserhebung i. S. v. § 12 Abs. 2 S. 1 MSO;
- wenn sich krankheitsbedingte Schulversäumnisse eines Schülers häufen, wobei die Häufigkeit gegenüber Erkrankungen anderer Schüler besonders auffallen muss
und nicht auf der Schule bekannte chronische Erkrankungen zurückzuführen sein darf, und - wenn Zweifel an der Erkrankung bestehen; die Zweifel können sich auch aus der Häufigkeit von Erkrankungen ergeben oder auch daraus, dass ein Schüler regelmäßig an einem bestimmten Wochentag fehlt.“
Die Debatte
In der Konferenz entspann sich eine lange Sachdebatte, ob man eine generelle Attestpflicht für Tage mit angesagten Proben aussprechen solle oder nicht. Die Gegner führten zunächst an, man könne doch Eltern nicht verpflichten, mit dem Kind zum Arzt zu gehen, wenn es nur eine leichte Erkältung habe. Dem wurde entgegnet, dass eine lediglich leichte Erkältung das Kind ja vielleicht gar nicht vom Schulbesuch und dem Mitschreiben einer Probe abhalten müsse. Wäre das Kind ernster erkrankt, sollte es wiederum auch im Sinne der Eltern sein, es einem Arzt vorzustellen.
Als Kontrapunkt wurde auch angeführt, dass es Eltern nicht zumutbar sei, etwa im Falle eines Magen-Darm-Infektes ein sich übergebendes Kind zum Arzt „zu schleppen“. Der Einwand dagegen: Die Schule solle sich nicht den Kopf der Eltern darüber zerbrechen, wie sie eine Attestpflicht gegebenenfalls umsetzen. Schließlich gebe es auch Allgemeinmediziner, die Patienten zu Hause aufsuchen würden, ebenso wie Rettungsdienste, die man rufen könne, sollte der Patient nicht transportfähig sein.
Ähnlich wurde argumentiert, was mögliche Kosten für die Ausstellung eines Attests betrifft. Auch hier waren die Befürworter der Meinung, dies sei ein Problem der Umsetzung, mit dem sich die Eltern auseinanderzusetzen hätten. Man hielt sich aber für den Fall möglicher Kosten, die auf Eltern zukämen, auch die Hintertür offen, gegebenenfalls einfache Bescheinigungen über Arztbesuche zu akzeptieren; dies werde man den Eltern gegenüber aber nicht kommunizieren. Die Hauptfrage drehte sich aber darum, ob eine generelle Attestpflicht überhaupt zulässig sei oder ob nicht vielmehr – ähnlich wie bei den Krankheitstagen – erst bei Schülerinnen und Schülern individuell eine Häufung von Fehltagen am Tag angesagter Leistungsfeststellungen festgestellt werden müsste. Mit der Folge, dass eine Attestpflicht auch nur auf bestimmte, einzelne Schülerinnen und Schüler angewandt werden könne.
Dem wurde entgegnet, eine derartige Einschränkung werde weder in der Formulierung der BaySchO („am Tag eines angekündigten Leistungsnachweises“) vorgenommen, noch im Kommentar von Pangerl („bei Erkrankung am Tag einer angekündigten (schriftlichen) Leistungserhebung i.S.v. § 12 Abs. 2 S.1 MSO“). Von daher gäbe es auch keinen Grund für eine Schule, davon auszugehen, dass die Regelung nicht auch pauschal angewandt werden könne.
Die Entscheidung
Die Konferenz beschloss mit Mehrheit, die Eltern zu Beginn eines jeden Schuljahres per Rundbrief darauf hinzuweisen, dass am Tag eines angekündigten Leistungsnachweises bei Erkrankung des Kindes ein Attest vorzulegen sei. Von einzelnen Seiten vorgeschlagene Einschränkungen (erst ab Jgst. 8, nur für Abschlussklassen) wurden nicht einbezogen, da Ausnahmeregelungen nur schwer vermittelbar seien. Andernfalls müsse das Fehlen als unentschuldigt betrachtet werden – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Notengebung.
Fazit
In den ersten Monaten nach Einführung der Regelung zeichnete sich ab, dass die Krankmeldungen an Tagen mit angekündigten Leistungsnachweisen signifikant zurückgingen, in einzelnen Fällen um bis zu 70 Prozent. Das Verfahren wurde in den darauffolgenden Jahren aufgrund dieser Erfahrungen beibehalten.