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Wie man eine Schule lahmlegt

Beim Übertritt auf eine weiterführende Schule sind oft einzelne Noten entscheidend. Wenn ein Kind die nötigen Anforderungen nicht erreicht, kommen manche Eltern auf kreative Ideen, der Grundschule zu schaden. Die Rechtsabteilung berichtet über eine 4. Klasse.

Der Übertritt in der vierten Klasse ist für viele Eltern ein Zeitpunkt, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Schule aufzugeben und mit allen Mitteln
zu erreichen, dass ihr Kind die weiterführende Schule besucht, die sie sich seit der Geburt für ihren Sprössling vorgestellt haben. Da einzelne Noten zwar besprochen, aber nicht rechtlich angegriffen werden können, sondern nur Jahres- und Abschlusszeugnisse, werden Eltern hier durchaus kreativ. In unserem Fall wurde das Recht auf Auskunft aus § 15 DSGVO verwendet.

Der Fall

In einer 4. Grundschulklasse sind mehrere Elternpaare weder mit den Zwischenzeugnissen noch mit der Empfehlung für die weiterführenden Schulen einverstanden. Jede einzelne Note wollen sie ausführlichst besprechen und Änderungen durchsetzen. Die unterrichtenden Lehrkräfte – und später auch die Schulleitung – nehmen die Anliegen der
Eltern durchaus ernst; allerdings bleibt es nach den Überprüfungen bei den Noten und den entsprechenden Zeugnissen. Die Eltern fühlen sich aber weiterhin im Recht und
halten die Beurteilungen für falsch.

Eine Lehrkraft erfährt von ihrer Freundin, dass es auf der Plattform Telegram Gruppen gibt, die sich verabreden, Schulen, mit denen sie nicht einverstanden sind, durch gezielte
Anfragen nach Art. 15 DSGVO lahmzulegen. Man ist sich einig: Am besten wäre dies zu erreichen, indem das Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO an die Schulen gerichtet wird – von möglichst vielen Eltern pro Schule.

Die Verordnung wird absichtlich missbraucht

In diesem Artikel ist geregelt, dass Bürger das Recht haben zu erfahren, welche Daten über sie bei welchen Behörden gespeichert sind und wie lange. Außerdem haben sie das Recht, sämtliche Daten als kostenlose Kopie (einmal) oder digital zu erhalten.

Dies betrifft sämtliche Proben, Ergebnisse bei Sportveranstaltungen, Aufzeichnungen der Lehrkräfte, die Schülerakte, Ordnungsmaßnahmen – kurz: alles, was jemals über die Schülerin oder den Schüler gespeichert wurde. Nach der Rechtsprechung sind diese Unterlagen auch zur Verfügung zu stellen, wenn die Eltern sie bereits nachweislich erhalten haben, wie zum Beispiel die Proben.

Die kalkulierten Folgen für die Schule

Zuständig für die Auskunft ist die Schulleitung einer jeden Schule; diese ist nach den entsprechenden kultusministeriellen Bestimmungen auch allein verantwortlich für die korrekte Ausführung. Sämtliche an der Schule vorhandenen Daten, elektronisch oder als Kopie, müssen also binnen vier Wochen an die Eltern herausgegeben werden. 

Den Eltern muss klar gewesen sein: Jede einzelne Probe zu kopieren, ist schon bei einem einzigen Schüler eine zeitraubende Angelegenheit, für mehrere praktisch unmöglich. Um sämtliche relevanten Daten aus der ASV den Eltern zu übermitteln, müssten jeweils rund 20 Screenshots angefertigt werden, da es in der ASV keinen Bericht gibt, mit dem man alle Punkte gesammelt auslesen und in eine Datei speichern kann.

Die Reaktion der Schule

Die Schulleitung handelte im Wissen, dass es den Eltern keineswegs um die Auskunft als solche ging, sondern um eine Art legale Vergeltung. Die Änderungswünsche bezüglich der Noten hatte ja in keinem einzigen Fall Erfolg gehabt. Um nichts falsch zu machen, schaltete die betreffende Schulleitung umgehend den zuständigen Datenschutzbeauftragten ein und wandte sich hilfesuchend – auch über den Bezirkspersonalrat – an das Schulamt. Dieses wiederum schaltete die Regierung ein und bat ebenfalls um Unterstützung. Auf die ganz spezielle Situation mit diesen Eltern wurde ausdrücklich hingewiesen. 

Trotz mehrerer dringlicher Nachfragen und der wiederholten Bitte um Unterstützung, erhielt die Schulleitung keinerlei Antworten der Dienstvorgesetzten. So ging einige Zeit ins Land – und irgendwann war die Frist für das Auskunftsersuchen dann abgelaufen. Diese Frist beträgt nach Art. 12 DSGVO maximal vier Wochen. Die Schulleitung hatte übersehen, dass sie den Eltern vor Ablauf dieser Frist hätte mitteilen müssen, dass sie die Frist wegen des Umfangs des Auskunftsanspruchs verlängern muss.

Die Redaktion der Eltern

Nun wandten sich die Eltern an den Landesbeauftragten für Datenschutz und beschwerten sich darüber, dass ihrem Auskunftsersuchen nicht Folge geleistet wurde. Die Schulleitung wiederum schaltete die Rechtsabteilung des BLLV ein. Von dort kam der Rat, die Daten so schnell wie möglich an die Eltern zu übermitteln, was auch geschah. Trotzdem sprach der Landesbeauftragte für Datenschutz gegenüber der Schule eine Verwarnung aus, weil die Frist nach der DSGVO überschritten war.

Fazit

Mit einem weiteren Schreiben hat die Rechtsabteilung des BLLV versucht, diese Entscheidung rückgängig machen zu lassen – doch es blieb dabei. Mangels Unterstützung und aufgrund der Verwarnung erwägt die Schulleitung nach eigenen Aussagen, das Beamtenverhältnis zu beenden.
 

Kommentar von Andreas Rewitzer

Datenschutz-Irrsinn

Die Datenschutzverordnung ist ihrer Intention nach in Ordnung: Die Bürgerinnen und Bürger sollen erfahren können, welche Daten in welcher Behörde über sie gespeichert sind. Die Eltern der Schule im vorliegenden Fall haben den Datenschutz allerdings ad absurdum geführt. Das wäre auch dann der Fall, wenn man ihnen keine destruktive Absicht unterstellt. Denn in weiten Teilen hatten sie über die angeforderten Informationen bereits verfügt oder hätten sie längst einfordern können.

So werden Probearbeiten grundsätzlich mit nach Hause gegeben (unter anderem § 10 GrSO, § 12 MSO, § 20 RSO und § 25 GSO). Lehrkräfte haben auch Sprechstunden (§ 12 BaySchO). Alle Eltern bekommen ausreichend Gelegenheit, sich nicht nur über Leistungen zu informieren, sondern auch über Fördermöglichkeiten oder das Verhalten des Nachwuchses. Von der Schule die Aushändigung von Kopien der Proben zu verlangen, Aufzeichnungen der Lehrkräfte, Einträge in der ASV und manches mehr, erscheint vor diesem Hintergrund einfach nur schikanös – was ja offensichtlich die Absicht war.

Völlig indiskutabel aber ist, die Verantwortung allein den Schulleitungen aufzuerlegen und ihnen noch nicht mal die erbetene Unterstützung zukommen zu lassen. Nur verständlich, wenn einem Schulleiter unter solchen Umständen irgendwann das Vertrauen in die vorgesetzten Stellen abhanden kommt. Spätestens nach der Verwarnung durch den Landesbeauftragten für Datenschutz hätte das Schulamt und deren Datenschutzbeauftragter Unterstützung leisten und sich vor den Schulleiter stellen müssen.

Angebracht gewesen wäre auch die selbstkritische Frage: „Haben wir genug getan, um Schulleitungen im Umgang mit der DSGVO fortzubilden?“ Kritikwürdig erscheint in dieser Hinsicht auch das Verhalten des Landesbeauftragten für den Datenschutz. Statt aus seinem Elfenbeinturm heraus Verwarnungen auszusprechen, was er rechtlich gesehen tun musste, hätte er zumindest vorher einmal direkt bei der Schule anfragen können; „Wie kann ich helfen?“ So aber machte er sich zum Erfüllungsgehilfen auf Krawall gebürsteter Eltern.

Es erscheint dringend nötig, die DSGVO zu reformieren und Sonder- beziehungsweise Ausnahmeregeln für Schulen zu implementieren, um Fälle wie den geschilderten von vornherein zu verhindern. Nicht die Schulen sind hier gefordert, sondern der Gesetzgeber ebenso wie das Landesamt für Datenschutz. Zu überprüfen ist, welche Punkte mit der schulischen Praxis konform gehen und wo unüberbrückbare Hindernisse im Wege stehen.

<< Andreas Rewitzer, Leiter der Rechtsabteilung im BLLV

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