Internationale Untersuchungen zeigen immer wieder: Schülerinnen und Schüler erzielen höhere Bildungserfolge, wenn die Organisation des Lernens den physiologischen Besonderheiten ihrer Entwicklungsphasen nicht komplett entgegenläuft. Der hierzulande übliche Schulbeginn um 8 Uhr ist besonders für Jugendliche kontraproduktiv.
In München überlegt der Stadtrat, ob sich das nicht ändern ließe. Vorreiterin ist dabei die Anne-Frank-Realschule. Dort beginnt der Unterricht um 8:45, Schülerinnen können aber bereits ab 8:00 allein oder mit Unterstützung bereitstehender Lehrkräfte lernen.
Kleine Frage, große Antwort
Diese Regelung steht an der Mädchenschule aber nicht allein, sondern fügt sich in einen grundsätzlich anderen Ansatz des Lernens, der auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann begeistert: „Die SPD hatte ja in München den Antrag gestellt: Kann man nicht später mit der Schule anfangen? Was die Anne-Frank-Realschule draus macht, ist ein großes Konzept und das finde ich richtig cool!“, so Fleischmann im Interview bei München TV. „Denn es geht eben nicht einfach darum: ‘Komm halt dann um neun, und dann fangen wir um neuen den gleichen Unterricht an wie sonst um acht.‘ Sondern es geht darum, das ganze Lernkonzept umzustellen.“
Das bedeutet an der 2014 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Realschule unter anderem die Arbeit in sogenannten Lernateliers. „Wir haben den Unterricht umgestellt“, erläutert Schulleiterin Simone Schild. „Die Lehrkräfte überlegen sich: Welche Phasen sind notwendig, wo müssen wir gemeinsam sprechen? An welchen Stellen arbeiten die Schülerinnen eigenverantwortlich? Die Lehrkraft ist da. Die Kinder können aber im eigenen Tempo auch selber lernen.“
Lerncoach und Lernbegleiter
Dieses neue Verständnis pädagogischer Arbeit ist an aktuellen erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet, die auch der BLLV gerne im Zentrum schulischer Bildung sehen würde, wie Präsidentin Fleischmann betont: „Wenn wir nicht mehr die sind, die an der Tafel stehen mit der Kreide und abfragen, sondern wenn wir Kinder begleiten, eher als Lerncoach, eher als derjenige, der sagt: ‘Hey, was hast du denn heute vor, was willst du jetzt machen? Kann ich dir helfen?‘ – dann gelingt uns so eine veränderte Lernform sehr gut!“
Diese Eigenständigkeit im Lernen selbst befähigt dann Schülerinnen eben auch dazu, sinnvoll und situativ selbst zu entscheiden, wann sie mit der Arbeit beginnen und auch, wie sie die Zeit nach dem offiziellen Unterrichtsende weiter nutzen – ob in der Schule mit optionaler Unterstützung oder ganz eigenständig zuhause.
Metakompetenz: Das Lernen lehren
Aus Sicht von BLLV-Präsidentin Fleischmann sind der Flexibilität dennoch Grenzen gesetzt, um eine gewisse Rhythmisierung für die Lerngruppe zu erhalten: „Man muss sich schon gemeinsam eingrooven und braucht dafür ein Zeitfenster, wann es losgeht.“ Innerhalb diese Rahmens sind individuelle Freiheiten dann definitiv sinnvoll: „Ich kann vielleicht mal eher oder mal später kommen. Das ist, glaube ich, schon die Zukunft.“
Damit solche Ansätze funktionieren, ist es aber eben mit dem ausschließlichen Blick auf die Uhrzeit des Schulstarts nicht getan. Wenn das Ziel lautet, dass Schülerinnen und Schüler sinnvoll für sich entscheiden sollen, wann welche Art des Lernens für sie sinnvoll ist, dann müssen sie zu dieser Einschätzung auch befähigt werden. Schule muss also Bildungsziele fokussieren wie das Reflektieren des eigenen Lernprozesses und das Erkennen, was in welcher Phase des Lernens gerade hilfreich ist.
Wer das beherrscht, ist auch bestens für Herausforderungen in der zukünftigen Arbeitswelt gerüstet, die junge Menschen mit dem Erwerb von Fähigkeiten konfrontieren wird, die heute noch gar nicht absehbar sind. Das gelingt aber nur, wenn Schule deutlich offener gedacht und auf reflektierte Selbstständigkeit ausgerichtet wird, als dies derzeit der Fall ist.
» zur Sendung auf München TV (Thema ab 5:22)

Ganzheitlich neu gedacht
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Flexiblen Schulstart mit offenem Lernkonzept verknüpfen
Der Münchner Stadtrat prüft einen späteren Schulstart, die Anne-Frank-Realschule testet dafür flexiblen Unterrichtsbeginn. BLLV-Präsidentin Fleischmann betont bei München TV, dass das gut funktioniert, weil Schüler:innen dort generell eigenverantwortlich lernen.