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Förderung in der Schule statt bezahlter Nachhilfe!

Wenn Eltern ihren Kindern Nachhilfe kaufen, ist das ein Warnsignal: Förderung sollte in der Schule passieren, dort fehlen aber Lehrkräfte. Damit verstärkt sich der Nachteil für die Kinder, die am meisten Hilfe bräuchten, stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar.

Warum geben so viele Eltern Geld für Nachhilfeunterricht oder digitale Tools aus, und das zunehmend auch schon in der Grundschule? Dieser Frage ist der Bayerische Rundfunk nachgegangen und hat dafür eine Einschätzung des BLLV erbeten.

Aus Sicht des BLLV hat das auch damit zu tun, dass in Bayern – anders als in den meisten anderen Bundesländern – ausschließlich drei Noten im Übertrittszeugnis über die Schullaufbahn der Kinder entscheiden. Viel sinnvoller wäre es ja, im Dialog zwischen Eltern, Lehrkräften und Kindern nach breiter gefassten, ganzheitlichen pädagogischen Kriterien zu erarbeiten, was der beste Weg für das einzelne Kind ist. Weil das nicht geschieht und der bayerische Sonderweg ausschließlich notenbasiert abläuft, ist der Druck auf alle Beteiligten hoch, erläutert BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann:

„Wir erleben eine scharfe Leistungsgesellschaft in Bayern: Es kommt auf die 2,33 in der vierten Klasse an, damit das Kind zum Gymnasium gehen kann –  ‘bitte wenigstens die 2,66, weil sonst muss das Kind ja zur Mittelschule‘. Das ist nicht meine Meinung, aber es ist offenbar die Meinung der Gesellschaft. Aber wenn ein Kind dabei eine Schwäche hat, wer soll sie denn dann ausgleichen?“

Geldbeutel oder Talent?

Im Sinne der Fairness müsste das natürlich direkt an den Schulen passieren, meint Simone Fleischmann: „Eigentlich wäre es Aufgabe von Schule, Unterschiede bei Kindern aufzufangen. Wir sind als Pädagoginnen und Pädagogen die Experten dafür, wir haben genau das gelernt. Aber wir schaffen es nicht, weil wir zu wenige sind. Dadurch haben wir zu wenig Differenzierungsmöglichkeiten und zu wenig Fördermöglichkeiten, mit denen sich Leistungsunterschiede auffangen lassen würden.“

Dass Eltern in einer Leistungsgesellschaft dann selbst reagieren, ist kaum verwunderlich – das hat allerdings auch Folgen für die Gesellschaft insgesamt, warnt BLLV-Präsidentin Fleischmann: „Es gibt eben Eltern, die es sich leisten können, den Kindern entweder Nachhilfe zu kaufen oder selber Nachhilfe zu geben oder auch Kinder in Camps zu schicken, damit sie dann gute Noten schreiben. Damit ist der Lernerfolg der Kinder abhängig vom Geldbeutel der Eltern: Je dicker der Geldbeutel der Eltern, desto besser ist die Chance auf Bildung. Das ist nicht gerecht und in dieser Bildungsungerechtigkeit ist Bayern leider Spitzenreiter.“

Bildungserfolg braucht genügend Profis

Das gilt auch für digitale Tools, denn der Zugang dazu ist ebenfalls abhängig vom Elternhaus – sei es finanziell oder mit Blick auf die nötige Digitalkompetenz. Auch hier verstärken sich Nachteile für Kinder mit sozioökonomisch herausforderndem Hintergrund weiter. Aus Sicht des BLLV ist aber gerade auch bei der Förderung lernschwächerer Schülerinnen und Schüler Sozialkompetenz gefragt, die digitale Anwendungen so nicht mitbringen: „Es gibt sehr gute Lernprogramme, aber ich bin immer noch überzeugt davon, dass es der Mensch ist, der Kinder motiviert zu lernen und der letztendlich dann auch die Schwächen bei den Kindern besser ausgleichen kann als ein digitales Lernprogramm“, meint Simone Fleischmann.

Es braucht also schlicht mehr Lehrkräfte, damit Bildung und Leistungsfähigkeit nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. „Die einzige Lösung, um für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen und eben auch arme Kinder mit guter Bildung auszustatten, ist, dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer sind und so bessere Fördermöglichkeiten anbieten können“, analysiert die BLLV-Präsidentin. „Stärkung der Kinder geht nur mit individueller Förderung über Kleingruppen und Differenzierung. Das braucht Profis und es braucht Geld. Aber es braucht halt auch Personen, die man für das Geld kaufen kann. Und genau das ist ja momentan unser Problem des Fachkräftemangels: Es gibt nicht genug qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer!“

Gute Argumente für den Lehrberuf?

Daher erachtet der BLLV die aktuellen Ankündigungen des Ministerpräsidenten, bei Lehrkräften die Teilzeitmöglichkeiten einzuschränken, auch als kontraproduktiv zum Schaden aller Schülerinnen und Schüler. Als zuletzt Kultusminister Piazolo trotz der hohen Belastung der Lehrkräfte an der Teilzeitschraube drehte, stiegen begrenzte Dienstfähigkeit und Dienstunfähigkeit sprunghaft an. Das Resultat waren weniger Lehrerstunden statt mehr.

Wer es also ernst meint mit einem leistungsfähigen Bildungssystem in Bayern, in dem Erfolge nicht zugekauft werden müssen, sondern in dem alle die Chance haben, ihre Talente voll zum Wohl der Gesellschaft zu entwickeln, sollte sich besser tatsächlich wirksame Maßnahmen gegen den Personalmangel überlegen. „Lehrer fallen nicht von den Bäumen“, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dazu klar.

Wie wäre es also beispielsweise mit attraktiven Arbeitsbedingungen und hoher Wertschätzung für Lehrkräfte? Das könnte nämlich tatsächlich dafür sorgen, dass es endlich genügend junge Menschen in diesen Beruf zieht, der zuletzt im Wettstreit mit anderen Optionen zu oft den Kürzeren zog – wodurch sich der akute Mangel eben bedingt.