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KI-Nutzung an Schulen erfordert anderen Leistungsbegriff

Die Debatte um KI an Schulen läuft heiß, nachdem ein Schüler Nachteile anprangert, weil er auf die Nutzung verzichtet. BLLV-Präsidentin Fleischmann stellt klar: Es braucht endlich eine zeitgemäße Leistungskultur und mehr Einsatz für Bildungsgerechtigkeit.

Eine Diskussion auf der Online-Plattform reddit schlägt hohe Wellen. Unter dem Titel „KI macht das Leben als Schüler zur Hölle“ schildert dort ein 18-jähriger Gymnasiast detailliert, wie Mitschülerinnen und Mitschüler in Prüfungen oder auch im Unterrichtsgespräch über beispielsweise komplexe philosophische Sachverhalte unerlaubt und ohne das transparent zu machen, Inhalte von KI-Anwendungen wie ChatGPT nutzen. Da er selbst darauf aus Prinzip verzichtet, fühlt er sich extrem unfair behandelt, da es unmöglich sei, mit normalem Lernen die so erzielten Noten bzw. Punktzahlen zu erreichen.

Für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann wird aus seinen Schilderungen ganz klar, was sich an Schulen ändern muss, um pädagogisch sinnvoll mit den neuen Realitäten umzugehen, die die Verfügbarkeit von Künstlicher Intelligenz an Schulen mit sich bringt: „Proben, Schulaufgaben, Feedback müssen neu gedacht werden“, fordert sie im Gespräch mit BuzzFeed, über das auch die Frankfurter Rundschau ausführlich berichtet. Es dürfe heutzutage nicht mehr darum gehen, auswendig zu lernen, sondern Themen nachhaltig zu durchdringen. „Wir wollen, dass Kinder verstehen, wie Lernen funktioniert“, betont Simone Fleischmann.

15 Punkte dank KI? Dann stimmt das Prüfungsformat nicht!

Der BLLV fordert schon seit Langem eine Abkehr von einem rein reproduktiven Lernbegriff, wie es auch die bereits in den Lehrplänen etablierte Kompetenzorientierung vorgibt. Allerdings hinken Prüfungsformate und Feedbackkultur diesem Prinzip noch deutlich hinterher.

So schildert der Gymnasiast auf reddit, dass es an seiner Schule auch schon Lehrerkonferenzen gegeben habe, um das Problem in den Griff zu bekommen. Doch viele Schülerinnen und Schüler würden eben Tablets in der Schule nutzen, durch die der Zugriff auf ChatGPT & Co. auch jederzeit während eines Unterrichtsgesprächs möglich sei. In Prüfungen würden digitale Geräte zwar abgegeben, aber viele würden ein Zweitgerät einschmuggeln und so große Teile der Fragen von KIs bearbeiten lassen und das einfach abschreiben und dafür immer wieder die vollen 15 Punkte einheimsen. 

Lernprozesse in den Mittelpunkt stellen – auch bei Feedbackformaten

Das frustrierte Fazit des Schülers: „Leute wie ich, die keine KI benutzen, kommen im Unterricht nicht mehr hinterher. Als Schüler, der sich eh schon nicht motivieren kann, um Dinge zu lernen, die mich nicht interessieren, fällt es mir durch KI nochmal doppelt so schwer. Wenn ich mit drei Tagen lernen gerade so 10 Punkte schaffe, dann bin ich einfach enttäuscht. Und dann noch zu wissen, dass es Leute gibt, die keinen Finger krumm machen und dafür belohnt werden! Da fehlt mir einfach jegliche Motivation für mein Abitur, obwohl ich es gerne schaffen würde.“

Für Simone Fleischmann ist daher klar: Unterricht in Zeiten von KI braucht eine andere Ausrichtung, in der es auch um die Metaebene des Lernens selbst geht, und in der vor allem Transparenz herrscht darüber, wie Schülerinnen und Schüler gearbeitet haben, die das selbst auch kritisch begleiten sollen. „Wenn die Schüler ein Referat gehalten haben, sollten sie reflektieren: Wer hat wie recherchiert? Wer hat mit KI gearbeitet? Wer hat ein Buch zur Hand genommen?“, fordert die BLLV-Präsidentin und stellt gleichzeitig klar, dass damit auch „Transparenz über die Leistungserwartung“ seitens der Lehrkräfte einhergehen muss.

„Hat uns auch nicht geschadet“ ist kein Argument

Nur wenn dieser Wechsel auf eine andere Ebene in der Lern- und Feedbackkultur gelingt, lässt sich der Missbrauch von KI, der in rein reproduktiven Formaten, die auch pädagogisch ohnehin nicht mehr zeitgemäß sind, eindämmen. Denn: „Manchmal überholen uns die Kinder und Jugendlichen in der Anwendung von digitalen Tools“, räumt auch BLLV-Präsidentin Fleischmann ein. Dieser Wettlauf mit Kindern und Jugendlichen sei für Lehrkräfte bei aller Mühe um Fort- und Weiterbildung in Sachen Digitalisierung kaum zu gewinnen.

„Wir erkennen, dass sich die Lernwelt verändert hat“, so Fleischmann. Jetzt gehe es darum, daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. „Wenn sich an den Abschlussprüfungen nichts ändert, ändert sich auch das Lernen nicht. Dann lesen wir in 20 Jahren dieselben Posts frustrierter Schüler“, warnt Simone Fleischmann. „Wenn Politiker sagen, Kinder müssten bei einer Fünf auch mal weinen, nach dem Motto ‘hat mir auch nicht geschadet‘, dann läuft etwas schief!“

Fairness: Lernerfolg darf nicht vom besten Zugang zur besten KI abhängen

Als große Herausforderung im Zusammenhang von KI an Schulen sieht die BLLV-Präsidentin besonders auch die sich immer weiter verschärfende Ungerechtigkeit bei Bildungschancen. „Wer Zugang zu neuesten digitalen Endgeräten hat, die besten Versionen von ChatGPT und Perplexity, wer Eltern hat, die sich kümmern und die präsent sind, wer aus einem sozioökonomisch privilegierten Umfeld kommt – der hat automatisch einen gewaltigen Vorsprung“, stellt Fleischmann klar. Für Kinder, deren Eltern weder finanzielle noch zeitliche Ressourcen für die Unterstützung haben, verstärkt sich die in Deutschland ohnehin schon große Benachteiligung.

Ursächlich ist für die BLLV-Präsidentin der gesellschaftliche Irrglaube, Selektion sei gut, während Bildungsforschende vielfach empirisch nachgewiesen haben, dass längeres gemeinsames Lernen und ein zeitgemäßer Leistungsbegriff in der Breite wie im einzelnen höhere Bildungserfolge bringen. „Kinder werden aussortiert, abgeschult, wiederholen Klassen“, schildert Simone Fleischmann und kritisiert: „Wir hängen einem überholten Leistungsbegriff nach und geben benachteiligten Kindern nicht die Chance, durch zusätzliche Förderung genauso gut zu werden wie ihre Mitschüler.“ Eine reproduktive Lern- und Feedbackkultur verstärkt das und ist spätestens angesichts der beschriebenen Entwicklungen bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz aus der Zeit gefallen.

» zum Artikel in der Frankfurter Rundschau: “‘Macht das Leben zur Hölle‘: Lehrerin kritisiert riskanten Trend an deutschen Schulen“
 

Hintergrund

Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt):
>> Ergebnisse der Untersuchung zur Nutzung Künstlicher Intelligenz an Schulen (Auszug)