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Schuldebatte bei „Jetzt Red I“: BLLV-Themen im Mittelpunkt

„Was muss sich ändern an Bayerns Grundschulen?“ fragt die TV-Diskussionsrunde „Jetzt Red I“ mit Blick auf die PISA-Ergebnisse. Der BLLV ist gut vertreten und spricht Klartext in Sachen Lehrermangel, Übertritt, Lehrergesundheit und ganzheitlicher Bildung.

Es geht wie so oft heiß her in der Diskussionsrunde „Jetzt Red I“ im Bayerischen Fernsehen, in dem sich Verantwortliche den Fragen von Bürgern und Experten stellen. Zum Thema der aktuellen Sendung „Nach dem Pisa-Debakel – Was muss sich ändern an Bayerns Grundschulen?“ läuft schon seit der Bekanntgabe, welche Stunden gekürzt werden können um mehr Mathematik und Deutsch zu unterrichten, eine intensive Debatte. Der BLLV hatte dazu mehrfach deutlich gemacht, dass ein verengter Blick auf zwei Fächer keinem Kind gerecht wird, und gefordert, Bildung stattdessen ganzheitlich zu denken, damit entscheidende Zukunftskompetenzen wie kreatives Problemlösen, Teamfähigkeit und Vertrauen in selbstwirksames Handeln nicht aus dem Blick geraten. Dafür braucht es eben nicht weniger, sondern eigentlich mehr Stunden in Fächern, die das besonders fördern – das ist bildungswissenschaftlicher Konsens.

Gleich zu Beginn betont Michael Oberhofer, Vorsitzender des BLLV-Kreisverband Erding und Leiter der Grund- und Mittelschule Isen, dass Pauschallösungen ohnehin nicht die richtige Antwort auf Lernrückstände sind: „Förderung bedeutet, dass man nicht eine ganze Klasse als Ganzes nimmt, sondern sich um die Kinder kümmert, die in Deutsch oder in Mathe Probleme haben.“

Herz, Kopf, Hand!

Überhaupt sei PISA als Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen zu hinterfragen, meint Peter Hackel, Leiter der Kreismusikschule Erding, weil sie eher auf wirtschaftlichen Nutzen der Gesellschaft als auf Bildungsgewinn der Kinder ausgerichtet sei. Er plädiert daher, ganz im Sinne des BLLV, für ganzheitliche Bildung: „Meine Bitten an unsere Bildungspolitiker: Bitte immer Hand, Herz und Hirn zusammen lassen. Und in diesem Zusammenspiel finde ich gerade die musischen Fächer sehr, sehr, sehr, sehr wichtig, weil sie stehen ja für Fantasie, Inspiration und auch Innovation. Deshalb bitte da keine Kürzungen unternehmen, und in diesem Zusammenhang auch die PISA Studie nicht überbewerten. Sie bildet nur einen kleinen Teil ab. Sie ist von der OECD in puncto Wirtschaft konzipiert und unsere Kinder sind keine Roboter!“

Selbst Kultusministerin Anna Stolz, die ihre PISA-Offensive zwar pflichtgemäß als richtigen Schritt zur Stärkung der Kernkompetenzen verteidigt, räumt ein, dass die Erhöhung der Unterrichtsstunden in den sogenannten Kernfächern womöglich zu kurz greift: „Die Zeit alleine bringt ja wenig. Wir müssen die Zeit auch zielgerichtet nutzen.“ Stolz betont, dass die Schulen zudem sehr flexibel seien, wie sie die Stundentafeln gestalten, um Zeit für Mathematik und Deutsch zu gewinnen und äußert erneut, warum sie auf schulische Eigenverantwortung setzt: „Flexibilität für unsere Schulen vor Ort ist mir wichtig. Das sind die Profis vor Ort, die wissen am besten, was die Kinder brauchen.“


Gefordert wird immer mehr

Kritik muss sich die Ministerin auch wegen des vorauseilenden Vetos des Ministerpräsidenten gefallen lassen, dass bei Religion nicht gekürzt werden dürfe – obwohl Bayern im Bundesvergleich sehr viele Stunden in der Grundschule vorsieht und die Kirchen sich dialogbereit zeigen. Das betont auch Martin Goppel, Vorsitzender der Katholischen Erziehergemeinschaft KEG, der von einem guten Austausch mit Kultusministerin Stolz berichtet. Diese macht erneut deutlich, dass sie den Dialog mit dem Ministerpräsidenten über die Unantastbarkeit der Religionsunterricht weiterführen wolle.

Die Diskutierenden sind sich indes weitgehend einig, dass Kürzungen ohnehin grundsätzlich der falsche Ansatz sind – weil neben den bei PISA gemessenen Leistungseinbußen auch ständig neue Herausforderungen an die Schulen herangetragen werden.

Weniger Zeit ist also keine Lösung

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann bringt es auf den Punkt: „Wir wollen immer mehr von diesen Kindern haben. Wir wollen, dass sie mehr lernen. Die Gesellschaft hat jeden Tag irgendeine andere Idee. Manch Politiker erfindet jeden Tag ein neues Fach, das hören wir andauernd. Deswegen ist es ganz richtig zu sagen: ‘Hey, wir brauchen nicht weniger, sondern wir brauchen mehr Angebot!‘ Wir wüssten ganz genau, was diese Kinder brauchen.“

Als Beispiel nennt Fleischmann die Problematik der in einer aktuellen Studie festgestellten Zunahme von Gewalt an Schulen, die der BLLV als Auftrag an die gesamte Gesellschaft sieht: „Jetzt schreit jeder: ‘Wir müssen Prävention machen, wir müssen Intervention machen!‘ Heute hat mich ein Journalist gefragt: ‘Ja, können Sie das überhaupt?‘ Na ja, freilich könnten wir das. Wir haben das alles gelernt als Lehrerinnen und Lehrer. Wir haben nur nicht die Zeitressourcen dazu, also können wir nicht diskutieren: Was streichen wir für Fächer? Der BLLV ist absolut dafür, dass wir den Kindern mehr Inhalte, mehr Stunden geben. Wir können nicht sagen, wir wollen immer mehr von diesen Kindern haben und dann weniger Unterricht planen. Das macht keinen Sinn!“

BLLV-Forderung im Fokus: Länger gemeinsam lernen

Zudem in Bayern ohnehin ein hochselektives Schulsystem für enormen Leistungsdruck in den letzten beiden Grundschulklassen sorgt, der im unseligen schriftlichen Prüfungsmarathon zum jetzt wieder anstehenden Übertrittszeugnis gipfelt. Dieser bayerische Sonderweg treibt zehnjährige Kinder und ihre Eltern in einen Pauk-Modus, bei dem echtes Verstehen und reflektierte Wissensaufnahme komplett irrelevant werden. Statt jedem Kind individuell den besten Lernfortschritt zu ermöglichen, wofür es eben auch deutlich mehr pädagogische Profis bräuchte, wird ein wichtiger Teil der Bildungsbiografien junger Menschen ans Auswendiglernen und stumpf Reproduzieren verschwendet.

Stefan Waidler, Vater eines Grundschülers kritisiert diesen Leistungsdruck in der Grundschule so: „Von der Klasse 1 bis 4 wird der Unterricht meiner Meinung nach richtig durchgepushed. Die Lehrerinnen und Lehrer machen da einen wunderbaren Job. Aber in der vierten Klasse machst du dann ein ‘Grundschulabitur‘“. Waidler macht sich, wie es der BLLV im Rahmen der Diskussion ebenfalls immer wieder gefordert hat, für eine längere gemeinsame Schulzeit stark: „In der Grundschule wird meines Erachtens zu viel komprimiert. Ich wäre dafür, dass man sagt, man müsste länger gemeinsam lernen – vielleicht auch Ausdehnen bis zur sechsten, siebten Klasse und dann erst in die weiterführende Schule.“

Runder Tisch zum Übertritt!

Dem schließt sich auch Dalton Sly, stellvertretender Landesschülersprecher für Mittelschulen, an: „Die Aufteilung nach der vierten Klasse macht überhaupt keinen Sinn. Den Schülern wird sehr früh gesagt, auf welche Schule sie gehen müssen, das führt einfach zu einem enormen Leistungsdruck. Deswegen fordern wir vom Landesschülerrat, dass die Grundschule auf fünf oder sechs Klassen erweitert wird. So haben die Schüler mehr Zeit, sich zu entwickeln und dann wissen sie auch, auf welche Schule sie gehen sollen.“ Simone Strohmayr, Bildungsexpertin der SPA, appelliert daher an die Ministerin, eine Reform anzugehen: „Dieser Übertritt gehört wirklich reformiert. Ich bin jetzt so lange in der bayerischen Politik: Es macht mich traurig und wütend, dass wir das nicht geschafft haben. Die SPD hat alle möglichen Vorschläge dazu gemacht: Von Elternwillen freigeben, bis zu einem gemeinsamen Runden Tisch mit Eltern, Lehrern und Verbänden, um gemeinsam zu überlegen, wie man dieses Grundschulabitur in Bayern verändern kann. Das ist so dringend notwendig!“


Gerd Nitschke: Überlastete Lehrkräfte verschlimmern Personalmangel

Immer wieder wird in der Diskussion deutlich, dass jedwede Veränderung, die Kindern und Jugendlichen Bildungserfolge ermöglichen soll, unter dem Vorbehalt akuten Personalmangels an Schulen steht. Gerd Nitschke, 1. Vizepräsident des BLLV, legt den Finger in die Wunde: „Wir haben jetzt dauernd vom Lehrermangel gehört, wir haben zu wenig Personal!“ Einen großen Anteil daran hat aus Sicht des BLLV das sogenannte Piazolo-Paket, in dem Teilzeitmöglichkeiten und ein früherer Ruhestand eingeschränkt wurden – mit fatalen Folgen für die Lehrkräfteversorgung, wie Nitschke deutlich macht: „Wir schauen nicht mehr auf die Lehrergesundheit. Wir haben in der Grundschule eine Verdreifachung: Wir sind bei 1200 langzeitkranken Kolleginnen und Kollegen. Wir schicken immer mehr mit Dienstunfähigkeit in den Ruhestand.“

Nitschke erläutert das Potenzial, „wenn dieses Piazolo-Paket von 2020 wieder zurückgefahren wird.“ Denn es fehle eben nicht nur an Köpfen: „Die Lehrer sind alle da, die sind nur begrenzt dienstfähig. Das heißt, sie können die Stundenzahl nicht mehr erreichen, die vom Kultusministerium gefordert wird, weil sie einfach krank sind, weil sie überlastet sind. Wenn man da mehr auf die Gesundheit schauen würden, hätten wir auch garantiert mehr Stunden. Da bin ich sicher!“

Attraktivität von Beruf und Studium steigern!

Kultusministerin Stolz nimmt sich dazu auch vor, Lehrkräften zu ermöglichen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: „Es muss gelingen, dass die Lehrkräfte wieder mehr Zeit für die pädagogische Arbeit haben, mehr Zeit für die Kinder haben. Das heißt, sie brauchen Entlastung über multiprofessionelle Teams, über pädagogische Unterstützungskräfte. Es braucht eine Entbürokratisierung unserer Schulen. Die Lehrkräfte haben diesen Beruf nicht gewählt, um Formulare auszufüllen, sondern um Kinder zu fördern.“ Auch dafür hatte sich der BLLV immer wieder stark gemacht und den politischen Dialog auf Arbeitsebene gesucht. Nun bleibt zu hoffen, dass bei diesen zentralen Anliegen Taten folgen.

Im steten Dialog mit der Politik ist der BLLV auch zur Frage der Lehrerbildung. Denn wenn hinten und vorne Nachwuchs fehlt, lässt sich der Personalmangel langfristig nicht beheben. Das sieht auch Simone Strohmayr so, die sich für einen produktiven Dialog stark macht: „Wir müssen das Studium reformieren. Das ist so wichtig. Wir haben eine moderne Zeit, wir müssen es praxisorientierter machen. Da gibt es Vorschläge von den Lehrerverbänden, da müssen wir uns jetzt dran machen. Das ist eine große Aufgabe.“

BLLV-Themen im Mittelpunkt, Vorschläge liegen auf dem Tisch

Im Verlauf der Diskussion kommen also die drängenden Herausforderungen in der Bildungsarbeit zur Sprache, die der BLLV kontinuierlich thematisiert und für die er im gesellschaftlichen und politischen Diskurs konkrete Lösungsvorschläge auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse unterbreitet. In der Sache herrscht erfreulicherweise bei vielen Themen Konsens unter den verschiedenen Akteuren.

Der BLLV wird sich weiter vehement dafür einsetzen, dass dieser Konsens auch zu produktivem Handeln bei jenen führt, die das Bildungssystems gestalten und verantworten.

» Zur kompletten Sendung: „Jetzt red I: Was muss sich ändern an Bayerns Grundschulen“
 

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