
Zwischen Kindheit und Krisen – drei Geschichten mit Tiefgang
Die aktuellen Buchtipps vom Forum Lesen behandeln Themen, die für junge Menschen zur Belastung werden können: Kinderarmut, Migration, Mobbing und fragwürdige Erziehungsmethoden – verpackt in bewegenden Geschichten über Selbstreflexion, Hoffnung und Stärke.
Der Junge in den falschen Schuhen

Von Tom Percival
- Mit Illustrationen von Tom Percival
- Verlag: Rotfuchs
- ISBN: 978-3-7571-0209-8
- Preis: 14,90 Euro
- Seiten: 328
- Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Will und sein Vater leben in Armut. Trotzdem machen beide das Beste aus ihrer Situation. Als jedoch mehrere Dinge in Wills Leben schieflaufen, trifft er falsche Entscheidungen und wird kriminell. Doch der Junge erkennt, dass er sich neu entscheiden kann, und schlägt einen anderen Weg ein.
Dieses Kinderbuch behandelt kindgerecht und eindrücklich ein wichtiges, jedoch selten angesprochenes Thema, nämlich Kinderarmut.
Inhalt
Will lebt zusammen mit seinem alleinerziehenden Vater, welcher seit einem Arbeitsunfall arbeitslos ist. Die beiden haben kaum Geld zur Verfügung, selbst für das Essen reicht es oft nicht. In der Schule versucht der Junge, so wenig wie möglich aufzufallen, jedoch wird er von seinem Mitschüler Chris und seiner Bande seit Jahren gemobbt.
Als er sich mit seinem besten Freund Cameron zerstreitet und sein Vater sich Geld von einem Kredithai leiht und es nicht zurückzahlen kann, verliert Will den Boden unter den Füßen. Plötzlich scheint Chris ihm helfen zu wollen und Will gerät auf die schiefe Bahn. Doch rechtzeitig erkennt der Junge, dass es ihm noch möglich ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er distanziert sich von der Bande und sagt sowohl seinem Vater als auch seinen Freunden die Wahrheit. Nun geht es wieder aufwärts. Sein soziales Umfeld hält zu ihm, sein Vater findet einen Teilzeitjob und leiht sich Geld von seiner Exfrau und Will schöpft wieder Hoffnung. Trotz aller Widernisse gibt er nicht auf.
Bewertung
Das Buch spricht mehrere aktuelle Themen an. Kinderarmut ist eines davon. Bei uns ist – laut dem Autor – jedes siebte Kind davon betroffen, während in Großbritannien eins von drei Kindern armutsgefährdet ist.
Will, Protagonist der Geschichte, ist von Kinderarmut betroffen. Seine Eltern haben sich getrennt, trotzdem hat er zu beiden ein gutes Verhältnis. Er versucht optimistisch zu sein und zu bleiben und gibt sein Bestes, die Situation zu akzeptieren, und das trotz des Mobbings durch seine Mitschüler. Angreifbar und ein leichtes Opfer ist er für sie, weil er die „falschen“ Schuhe und die „falsche“ Kleidung trägt. Weitere angesprochene Themen sind Freundschaft, Gruppendynamik oder Einstehen für seine Fehler.
Der Autor erzählt seine Geschichte sehr realistisch, eindrücklich und empathisch, sodass die Leser:innen spüren, dass er weiß, worüber er schreibt. Ein Happy End gibt es nicht, aber es gibt Hoffnung, so wie auch der Autor seine Leserinnen und Leser in einem persönlichen Nachwort ermutigen will, niemals aufzugeben. Die Schwarz-Weiß-Illustrationen aus der Feder des Autors selbst vertiefen das Erzählte ausdrucksstark und gehen dem Leser – ebenso wie die Geschichte an sich – unter die Haut. Sehr empfehlenswert!
Von Null auf Held oder Wer ist eigentlich Amin?

Von Mirjam Raymond
- Mit Illustrationen von Maja Bohn
- Verlag: Fischer Sauerländer
- ISBN: 978-3-7373-4393-0
- Preis: 12,90 Euro
- Seiten: 235
- Altersempfehlung: ab 10 Jahren
Johnny ist Anführer der „Sheriffs“ und gerät durch seine Impulsivität ständig in Schwierigkeiten. Als er sich aufgrund einer Wette auf die Suche nach Amin, einem Flüchtlingsjungen aus Afghanistan, macht, muss er vieles von dem, was er bisher geglaubt hat, revidieren.
Das Kinderbuch veranschaulicht am Beispiel des aus Afghanistan geflüchteten Jungen das Schicksal unbegleiteter minderjähriger geflüchteter Kinder, von denen es viele in Deutschland gibt. Ein anrührender und bewegender Roman über Migration und Exil.
Inhalt
Johnny ist der Anführer der „Sheriffs“, hat eine große Klappe und eckt aufgrund seines Verhaltens ständig an. Als Amin, ein Junge aus seiner Klasse, eines Tages verschwunden ist und die Polizei ihn sucht, erfährt Johnny, dass Amin nach der Schule bei ihm geklingelt hat. Dabei ist ihm Amin zuvor nie aufgefallen. Mit Matteo, einem weiteren Mitschüler, der unbedingt Anführer der „Sheriffs“ werden will, geht der Junge unbedacht eine Wette ein, nämlich dass er Amin finden wird.
Durch einen Zufall bekommt er Amins Notizbuch in die Hände und je mehr er daraus über ihn erfährt, umso mehr verändert sich Johnnys Blick auf Amin. Er weiß nun, dass Amin ohne seine Eltern und Geschwister in einer Flüchtlingsunterkunft lebt. Als er diese aufsucht, erhält er weitere Einblicke in das Leben dort und begreift, was Amin auf seiner Flucht erlebt und mitgemacht hat. Am Ende findet Johnny Amin. Er hat durch seine Suche viel erfahren, dazugelernt und gemerkt, dass oft nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Bewertung
Mit ihrer spannenden Geschichte, die in der Ich-Perspektive aus der Sicht des Protagonisten Johnny erzählt wird, gelingt es der Autorin rasch, die Leser:innen in ihren Bann zu ziehen, obwohl sie so schwierige Themen wie Flucht, Asyl, Vorurteile, Gruppenzwang oder auch Freundschaft behandelt. Zielgenau trifft sie nämlich mit ihrem Sprachstil, ihrem Humor und ihrer genauen Beobachtungsgabe die intendierte Altersgruppe. Passend sind auch die comicartigen, witzigen Schwarz-Weiß-Illustrationen, welche vorwiegend im Notizbuch von Amin zu finden sind.
Ein wunderbar geschriebenes, bewegendes und gerade in der heutigen Zeit wichtiges Kinderbuch über Migration und Exil, für welches die Autorin zu Recht mit dem Literaturstipendium der Landeshauptstadt München ausgezeichnet wurde.
I wie immer ich

Von Judith Mohr
- Verlag Freies Geistesleben
- ISBN: 978-3-7725-2904-7
- Preis: 18,00 Euro
- Seiten: 251
- Altersempfehlung: ab 12 Jahren
Der 14-jährige Lennox sprüht mit roter Farbe einen obszönen Spruch auf ein Spielgerät in einem Kindergarten und wird prompt dabei erwischt. Sein Vater ist außer sich und verhängt eine ganze Liste drakonischer Strafen über ihn. Unter anderem muss er ein „freiwilliges“ Sozialprojekt absolvieren, bei dem er die Rollstuhlfahrerin Grit kennenlernt.
Die Autorin zeigt in ihrem einfühlsamen Roman auf, welche Folgen problematische Familienstrukturen und übermäßige Strenge auf das Aufwachsen von Kindern haben. Für Jugendliche ist insbesondere der authentisch gezeichnete Lennox, dem es zunächst schwerfällt, sich zu wehren, eine gute Identifikationsfigur.
Inhalt
Der 14-jährige Lennox sprüht, um seinen Frust abzureagieren, mit roter Farbe einen obszönen Spruch auf ein Spielgerät in einem Kindergarten und wird prompt dabei erwischt. Sein Vater ist außer sich und verhängt eine ganze Liste drakonischer Strafen über ihn. Unter anderem ist der für die anstehenden Ferien geplante gemeinsame Familienurlaub auf Sardinien für Lennox gestrichen; stattdessen muss er Nachhilfeunterricht nehmen und neben den vom Gericht verhängten Sozialstunden ein freiwilliges Sozialprojekt absolvieren.
So lernt er die 16-jähirge Grit Petersen kennen, die wegen einer Querschnittslähmung nach einem Reitunfall im Rollstuhl sitzt. Sie will nach dem Abi in Berlin studieren und muss vorher ihre Eltern davon überzeugen, dass sie trotz des Rollstuhls allein in einer Stadt zurechtkommt. Lennox soll sie bei ihren Ausflügen in die Stadt begleiten und für den Notfall zur Verfügung stehen. Allerdings erweist Grit sich zunächst als ausgesprochen kratzbürstig, da sie eigentlich kein „Sozialprojekt“ sein und erst recht keine Hilfe annehmen will. Nach und nach aber kommen sie besser miteinander zurecht und Lennox entwickelt mit ihr den Plan, gemeinsam eine Liste mit Orten und Tätigkeiten abzuarbeiten, die man in einer großen Stadt beherrschen muss. Und tatsächlich geraten sie dabei immer wieder in Situationen, die für Rollstuhlfahrer brenzlig sind. Grit ihrerseits beginnt sich für Lennox und seine familiäre Situation zu interessieren und hinterfragt mit ihm die Erziehungsmethoden und das Verhalten seiner Eltern. Zwischen den beiden so unterschiedlichen jungen Menschen entsteht im Laufe der Wochen eine intensive Freundschaft, die für beide eine große Bereicherung darstellt.
Bewertung
Mohrs Roman bietet viele Themen und Gesprächsanlässe, die ihn zu einer passenden Klassenlektüre machen. So kann im Unterricht das Thema Mobbing angesprochen werden, da Lennox nicht nur das Opfer der Erziehungsmethoden seines Vaters ist, sondern auch gezielt von zwei Mitschülern drangsaliert wird. Hauptthema aber sind die Familienstrukturen und die rigide Haltung, die Lennox‘ Vater an den Tag legt. So hat der sympathische Protagonist und Ich-Erzähler dieses Romans mit seiner Aktion auf dem Kinderspielplatz zweifellos einen Fehler begangen, dem Konsequenzen folgen sollten. Dass drakonische Strafen und psychischer Druck, wie ihn der Vater nicht nur in dieser Situation, sondern besonders auch hinsichtlich der schulischen Leistungen seines Sohnes für angebracht hält, nicht die richtigen Maßnahmen sind, zeigt die Autorin an Lennox und seinen Gedanken und Gefühlen. Deutlich wird, wie der Druck, den die Eltern, besonders der Vater, auf ihn ausüben, ihn unter Stress setzt. Hinterfragt werden die Methoden des Vaters – die Autorin erklärt seine Haltung für den Leser durch Erfahrungen, die er selbst in seiner Jugend gemacht hat – allerdings auch in Lennox‘ Gesprächen mit Grit und seiner Tante Mieke, bei der Lennox eine Ferienwoche verbringt.
Es gelingt der Autorin in ihrem einfühlsamen Roman, das Verhalten der Figuren plausibel darzustellen und aufzuzeigen, welche Folgen problematische Familienstrukturen auf das Aufwachsen von Kindern haben. Für Jugendliche ist insbesondere der authentisch gezeichnete Lennox, dem es zunächst schwerfällt, sich zu wehren, eine gute Identifikationsfigur. Sehr empfehlenswert!