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Es geht auch anders: Der BLLV zu Gast in Dänemark

Längere gemeinsame Schulzeit, eigenverantwortliche Schule, Noten erst ab der 8. Jahrgangsstufe, Zwei-Pädagogen-Prinzip, ein Laptop für jedes Kind und ein funktionierendes Kommunikationssystem an allen Schulen. Nein, das ist kein Traum, keine Vision, sondern Realität an Dänemarks Schulen. Dies durfte eine Delegation von Studierenden und Lehrkräften aus dem BLLV Ende Mai auf ihrer Exkursion nach Kopenhagen feststellen. Ein Reisebericht.

Vertrauen, Gastfreundlichkeit, Gelassenheit. Diese drei Eigenschaften konnten wir während unserer Schulbesichtigungen im Stadtteil Frederiksberg in Kopenhagen an allen Schulen feststellen, an denen wir zu Gast sein durften. Egal an welcher Schule wir ankamen: In allen Einrichtungen wurden wir sehr herzlich von den jeweiligen Schulleitungsteams empfangen und mit kurzen Vorträgen in die Gegebenheiten vor Ort und Schwerpunktsetzungen der jeweiligen Schule eingeführt. Im Anschluss hatten wir die Möglichkeit den Unterricht in verschiedenen Jahrgangsstufen und Fächern zu verfolgen und durften den dänischen Schülerinnen und Schülern, die alle auch Englisch sprechen, über die Schulter schauen und mit Lehrkräften ins Gespräch kommen.

Uns fiel ausnahmslos eine sehr ruhige Arbeitsatmosphäre und die äußerst vertrauensvolle und zugewandte Beziehung der Schülerinnen und Schüler zu ihren Lehrkräften auf. Kein Wunder, dass sich Lehrkräfte und Schüler in Dänemark grundsätzlich mit „Du“ ansprechen.

Wenn mein Herz hüpft, lerne ich…

Wir fanden schnell heraus, dass es vom Bildungsministerium vorgeschrieben ist, dass jährlich nationale Erhebungen zum Wohlbefinden, die Dänen sprechen von „Wellbeeing“, in allen Klassenstufen der Primar- und Sekundarstufe I durchgeführt werden. Daher wunderte es uns auch nicht, dass in allen Schulen Strukturen zu beobachten waren, die dazu führen, dass sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte sich wohlfühlen und effektiv lernen beziehungsweise lehren können. Erkennbar war das für uns durch die vielen Mitbestimmungsrechte der Kinder und Jugendlichen, aber auch an den sehr großzügig angelegten Pausenhöfen, in denen es viele Beschäftigungsmöglichkeiten, aber auch Räume zum Zurückziehen gibt.

Natürlich war die Digitalisierung eines der großen Themen, für die wir uns interessierten, denn für die frühe und effektive Umsetzung ist Dänemark ja bekannt. Schnell stellten wir fest, dass die Kinder schon ab der ersten Klasse einen Laptop benutzen. Viele Lehrkräfte berichteten uns, dass allerdings zunehmend Stimmen laut werden, die den Wunsch äußern, wieder mehr analog zu lernen und zu arbeiten. Den ganzen Tag in den Bildschirm zu schauen, sei wohl auch nicht die Lösung.



Einheitliche digitale Schulplattform, Technologie-Labor für Schulen

Mit Erstaunen stellten wir fest, dass alle Schulen in Dänemark ein und dasselbe Programm, die „AULA“, benutzen. AULA ist ein Programm, das neben dem Wochenplan auch einen gemeinsamen Kalender enthält. Alle wichtigen Informationen über die Schülerinnen und Schüler sind einsehbar, aber auch der Kontakt unter den Kolleginnen und Kollegen und den Eltern wird mit dieser Software auf dem Smartphone oder auf dem Laptop möglich.

Beeindruckt hat uns auch der Besuch bei TekX, ein Technologielabor und eine Art Makerspace für Schulen in der Kommune Rödovre. Dort lernen Schülerinnen und Schüler in einer kreativen Umgebung alles rund um das Fach Technologie und Innovation. Produktions-, Design- und Innovationsprozesse stehen dort im Mittelpunkt.

Das dänische Schulsystem

Alle Schülerinnen und Schüler in Dänemark werden bis zur 9. Jahrgangsstufe gemeinsam unterrichtet. Sie besuchen nach dem Kindergarten zunächst die Klasse „0“, welche eine Art Vorschule darstellt, die Schulpflicht umfasst folglich insgesamt 10 Jahre. Noten werden tatsächlich erst ab der 8. Jahrgangsstufe vergeben. Eine Trennung der Schülerinnen und Schüler vor der 9. Klasse findet nicht statt. Nach der Abschlussprüfung bieten sich den Jugendlichen je nach Eignung mehrere Wege an.

Zunächst gibt es die Möglichkeit, nach der 9. Klasse noch ein Jahr auf die „Folkeskole“ zu gehen und die Erweiterte Abschlussprüfung zu absolvieren, dies entspricht etwa der Mittleren Reife.


Die Schulleitungen berichteten uns, dass die Lehrkräfte in rund einem Viertel der Zeit zusammen mit einem Pädagogen bzw. einer Pädagogin gemeinsam unterrichten. Die dänischen Schulen erhalten ein Budget, auf Grund dessen sie Stellen ausschreiben sowie Lehrpersonen auswählen und einstellen können. Uns fiel auf, dass an jeder Schule ausreichend Arbeitsplätze und Besprechungsräume zur Verfügung standen, die Absprachen und kooperative Unterrichtsplanung ermöglichen, auf die in dänischen Schulen viel Wert gelegt wird.

Der Lehrkräftemangel bereitet jedoch auch den dänischen Schulen Probleme. Der dänische Lehrerverband „Danish Union of Teachers“, DLF, mit rund 78.000 Mitgliedern, bestätigte uns, dass es auch in Dänemark - vor allem in bestimmten Regionen - zu wenig Lehrkräfte gibt. Zudem erfuhren wir, dass die Lehrkräfte Angestellte sind und rund 5500 Euro brutto im Monat verdienen.

Das Ministerium

Im Austausch mit Vertretungen des Kultusministeriums erfuhren wir, dass die lokale Politik einen großen Einfluss auf die Schulentwicklung der Schulen vor Ort hat und eigene, weitreichende Entscheidungen treffen kann. Aktuell werden im Ministerium drei Schwerpunkte diskutiert. Zum einen wird überlegt, wie man damit umgeht, dass sich die Leistungen in der Lesekompetenz der Schüler, aber auch die Kompetenz in den Naturwissenschaften verschlechtert hat. Daher laufen Überlegungen wieder vermehrt auf Bücher zu setzen, aber auch der sinnvolle Einsatz von „digital tools“ wird getestet und weiterentwickelt.

Zudem möchte man sich weiter um das „Wellbeeing“ der Kinder und Jugendlichen kümmern, weil es immer noch zu viele, vor allem durch Corona entstandene, psychische Probleme gibt.

Zu guter Letzt: Auch in Dänemark stellt man fest, dass immer mehr Jugendliche ein Studium absolvieren möchten und es immer weniger Jugendliche gibt, die in eine Ausbildung gehen. Daher sucht man auch hier nach neuen Lösungen und versucht aktuell die Berufsberatung zu stärken. Letztendlich waren wir uns alle einig, dass die dänische Politik sehr ehrlich und flexibel mit den Herausforderungen im Bildungssystem umgeht.

<< Tomi Neckov, Vizepräsident des BLLV
 

Bildungssysteme im Vergleich: Deutschland & Dänemark

  • Die Bildungschancen in Deutschland werden seit 20 Jahren als äußert ungerecht bewertet werden (siehe zuletzt die ifo-Studie: Bayern auf dem letzten Platz). Das Bildungssystem Dänemarks hingegen gilt im hohen Maße als sehr gerecht und zeichnet sich durch ein hohes Maß an Integration und Fairness aus, das hat zuletzt die PISA-Studie festgestellt.
     
  • 2022 lag Dänemark über dem OECD-Durchschnitt. Dabei sticht Dänemark nicht nur durch Bildungsgerechtigkeit, sondern auch durch relativ geringe Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern hervor

Vergleich der Platzierungen von Deutschland und Dänemark in den PISA-Studien

  • Insbesondere im Kompetenzbereich Mathematik, liegt Dänemark weit vor Deutschland und konnte diesen Platz seit 2018 halten.


Vergleich der Platzierungen von Deutschland und Dänemark in den IGLU-Studien (2021)

  • Lesekompetenz bei Grundschülerinnen und -schülern in Dänemark deutlich besser als in Deutschland. Während Dänemark auf Platz 12 landet, landet Deutschland auf Platz 19.
     
  • Während Dänemark damit über dem OECD-Durchschnitt liegt, landet Deutschland knapp darunter (Kompetenzbereich Lesen).


<< Juliane Dahlke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BLLV




Kommentar: "Von der dänischen Bildungspolitik lernen"


Dänemarks Schulen gelten als innovativ, zukunftsorientiert, digital und inklusiv. Aber was macht die Schulpolitik dort anders? Was können wir lernen von Dänemark? Das fand der BLLV auf einer Bildungsreise nach Kopenhagen heraus.

Kommentar von Sabine Bösl, Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV

In Dänemark durften wir es erleben: Bildungspolitische Konzepte werden mit den zukünftigen Herausforderungen begründet und in hoher Eigenverantwortung umgesetzt. Schulen werden ermutigt, Neues auszuprobieren. Es herrscht eine positive Fehlerkultur. Die Schulen nehmen für sich in Anspruch, pädagogische Ziele zu entwickeln, die junge Menschen bestmöglich auf die Zukunft vorbereiten. Möglich ist dies, weil offensichtlich großes Vertrauen zwischen den einzelnen Steuerungsebenen herrscht. Das macht etwas mit allen Beteiligten. Sie haben eine andere Haltung. Das konnten wir deutlich wahrnehmen. Sie haben Vertrauen und Zutrauen. Sie schaffen Gelingensbedingungen, fördern eine kindgerechte Leistungskultur, unterrichten zukunftsgerichtet, denken inklusiv und leben dies an ihren Schulen.

Ein Strukturelement, das sich in Dänemark stark auf den Lernprozess von Kindern und Jugendlichen auswirkt, ist die zehnjährige gemeinsame Schulzeit. Sie ermöglicht durchgängige Bildungsbiografien in Verantwortung einer Institution, die einen vielfältigen und ganzheitlichen Lern- und Lebensraum bietet. Noten stehen in den Schulen dabei nicht im Vordergrund. Hier gibt es kein frühes Aussortieren. Hier gibt es keinen Übertritt, der für immensen Druck im Schulsystem sorgt. Hier geht es nicht um ständiges Bewerten. Schülerinnen und Schülern wird mehr Zeit gegeben zum nachhaltigen Lernen sowie für ihre ganzheitliche Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung. Das Kultusministerium, das in Dänemark Kinderministerium heißt, will in den jährlichen Umfragen wissen, wie es den Schülerinnen und Schülern geht und was zu tun ist, wenn es ihnen nicht gut geht. Das Wohlergehen wird als Basis für gelingendes Lernen in den Vordergrund gestellt.

Mehr Eigenverantwortung, mehr Bildungsgerechtigkeit

Schulen bekommen mehr Gestaltungsspielräume. Ihre Autonomie ist weitaus größer. Auch in den Lehrplänen besteht in Dänemark mehr Freiheit für alle Schulen. Während hier das Kultusministerium die Lehrpläne und pädagogische Ausrichtung vorgibt und kontrolliert, gibt es in Dänemark nur einen knappen Rahmenplan. Die Verantwortung für die pädagogische Ausgestaltung dieses nationalen Rahmens liegt bei den Kommunen und vor allem bei den Schulen selbst.

Das Thema der Chancengerechtigkeit wird in Dänemark engagiert verfolgt. Internationale Vergleichsstudien haben gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Dänemark nur halb so groß ist wie in Deutschland. Bayern gehört bundesweit zu den Schlusslichtern in der Bildungsgerechtigkeit. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Schulsysteme, in denen Kinder erst später auf weiterführende Schularten aufgeteilt werden, weisen eine systematisch höhere Chancengleichheit auf. Wir müssen Chancengerechtigkeit auch in Bayern politisch und gesellschaftlich stärker in das Bewusstsein der Entscheidungsträger rücken und mehr intervenierende Möglichkeiten des Abbaus von Bildungsbarrieren einsetzen.

Dänische Bildungspolitik zeigt, wie es gehen kann

Bildungspolitik in Dänemark zeigt uns: Wir können der strukturellen Bildungsbenachteiligung besser entgegenwirken, wenn jedes Kind Zugang zu früher Bildung erhält und Selektionsmechanismen möglichst abgebaut werden. Durch gezielte Förderung in den ersten Lebensjahren, mehr Unterstützung und längeres gemeinsames Lernen können Kinder und Jugendliche auch langfristig von höherer Bildungsbeteiligung profitieren. Dies entscheidet maßgeblich über gleichberechtigte Teilhabe- und Aufstiegschancen. Alle Schülerinnen und Schüler sollen die gleichen Chancen auf Bildungserfolg haben. Wir müssen sie stark machen für die Zukunft.

In Dänemark ist das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen genauso bedeutsam wie die Entwicklung ausgeprägter Zukunftskompetenzen. Das verändert den Blick auf Unterricht und Schule. Verändertes Lernen ist notwendig, damit Heranwachsende komplexe Herausforderungen meistern können. Das 21. Jahrhundert verlangt von uns, in neue Richtungen zu denken, um die Schülerinnen und Schüler auf eine Welt vorzubereiten, die sich ständig verändert. Dazu müssen wir auch in Bayern in der Bildungspolitik mutig neue Wege gehen.

<< Sabine Bösl, Leiterin der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im BLLV