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Sprachförderung ermöglichen statt Ausgrenzung antreiben Startseite Topmeldung
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Obergrenzen-Gerede gefährdet pädagogische Integrationsarbeit

Integration ist eine enorme Aufgabe an Schulen, Sprachkompetenz der Schlüssel dazu. Wer meint, das ließe sich mit populistischen Zwischenrufen erreichen, sabotiert die täglichen Anstrengungen für echte Förderung, stellt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann klar.

UPDATE 8.7.2025 14:03:


Aktuelle Aussagen aus der heutigen Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung von Staatsminister Dr. Florian Herrmann:

"Lieber Sprachstandstests und Sprachförderung statt Quoten.“
 
Dr. Herrmann zitiert zudem Kultusministerin Anna Stolz mit den Worten:

“Die einzige Voraussetzung für die Einschulung ist die Sprachfähigkeit, nicht die Herkunft.”
 


Bundesbildungsministerin Prien hat sich im Interview bei Welt-TV zur Aussage verstiegen, sie halte eine Obergrenze für den Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund von beispielsweise 30 bis 40 Prozent „denkbar“. Dagegen formiert sich großer Widerstand von Politikern, Integrations- und Bildungsexperten sowie Lehrkräften.

Zwar sind sich alle in der Analyse einig, dass die Beherrschung der Unterrichtssprache enorm wichtig ist: „Wenn die Sprachkompetenz von Kindern nicht ausreichend ist, ist ihre Chance auf Bildungserfolg gering“, stellt daher auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Gespräch mit Buzzfeed klar.

Dann haben wir verloren…

Den Vorschlag der Bundesbildungsministerin einer Obergrenze hält sie aber zum einen für praktisch nicht umsetzbar: „Wenn das jemand für ‘denkbar‘ hält, dann ist die Frage, wie man das, was man für denkbar hält, in der Realität umsetzen will. Wie stellt sie denn die Quote her? Sollen dann Eltern umziehen, wenn die Quote nicht stimmt? Wer soll denn dann nach welcher Anordnung wohin umziehen? Wenn das die Antwort der großen Politik auf Sprachdefizite der Schülerinnen und Schüler ist, dann müssen wir vor Ort sagen: völlig unrealistisch!“

Außerdem ist der Ansatz auch pädagogisch und gesellschaftlich höchst bedenklich, kritisiert die BLLV-Präsidentin: „Wenn die Politik jetzt eine Obergrenze in einzelnen Klassen diskutiert, dann können wir uns vor Ort abstrampeln wie wir wollen. Dann wird pädagogische Integration nicht gelingen, weil dann die Stimmung ist: ‘Eigentlich sind die zu viel. Die gehören nicht dazu.‘ Das geht gesamtgesellschaftlich völlig in die falsche Richtung und macht uns an den Schulen alles kaputt, was wir an Sprachförderung schaffen wollen. Wenn die Gesellschaft sagt, es liegt nur an denen, die nicht Deutsch sprechen, dass mein Kind nicht zum Gymnasium kommt, dann haben wir verloren!“

Es geht um Sprache, nicht um Herkunft

Dazu verweist Fleischmann auch auf eine Aussage der bayerischen Kultusministerin Anna Stolz (FW) im Bildungsausschuss, dass jedes Kind, das in Bayern zur Schule geht, ein bayerisches Kind und eins von uns ist. Aus aktuellem Anlass sagt Stolz gegenüber der Süddeutschen Zeitung nun: „Wir setzen in Bayern auf Integration und nicht Separation. Eine Migrationsquote an unseren Schulen ist schon organisatorisch gar nicht umsetzbar, aber darüber hinaus auch das falsche Signal. Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf Bildung, unabhängig von ihrer Herkunft.“

Auch Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) stellt laut Bericht von BR24 klar, dass nicht die Herkunft sondern Sprachkenntnisse für den Schulbesuch entscheidend sein müssen: "‘Wer unsere Sprache spricht, kann am Unterricht teilnehmen und sich integrieren.‘ Obergrenzen für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sehe die Staatsregierung skeptisch.“

Wie Politik tatsächlich helfen kann

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann fordert dringend den Fokus auf das, was wirklich hilft: „Individuelle Förderung an Schulen, kleine Klassen, gute Differenzierung, mehr Fachkräfte in der Kita und nach den Sprachtests eine exzellente Frühförderung: Das wäre echte Migrationspolitik! Wenn Politikerinnen und Politiker das sagen würden, würde uns das helfen, weil das den Kindern vor Ort wirklich was bringt!“

Damit das gelingt, braucht es aber vernünftige Rahmenbedingungen an Schulen – für die ja genau die Bundesbildungsministerin verantwortlich ist und dazu bestenfalls jede Menge Konstruktives beitragen könnte statt Lehrkräften mit unausgegorenen Scheinlösungen Steine in den Weg zu legen, findet Simone Fleischmann:

„Wenn Kinder professionelle Förderung erhalten sollen, damit sie gut Deutsch sprechen, brauchen wir die Lehrerinnen und Lehrer dafür. Dann fällt aber woanders was weg, weil die Lehrer nicht vom Baum fallen und wir in Deutschland Lehrermangel haben, aber zugleich jede Menge zusätzliche Aufgaben an den Schulen: Wir sollen die Kinder zu Demokraten erziehen, zu guten Radfahrern machen, ihnen beibringen, KI und soziale Netzwerke vernünftig zu nutzen und es darf niemand im See ersaufen, also heißt es Schwimmkompetenz vermitteln. Förderlehrkräfte sind nicht mehr verfügbar, Differenzierungskurse gibt es auch nicht mehr. Um da noch Sprachförderung zu schaffen, bieten Kolleginnen und Kollegen zusätzliche Formate an, bleiben mit diesen Kindern noch lange nach Unterrichtsschluss sitzen. Wir geben alle alles an den Schulen. Wenn in so einer Situation die Politik von einer Obergrenze in der Klasse spricht, löst das bei Eltern Dinge aus, die wir nicht mehr parieren können. Müssen wir jetzt wirklich gegen die Politik arbeiten, damit wir jedes Kind gut beschulen können? Das kann es ja wohl nicht sein!“

» zum Buzzfeed-Bericht: “'Fatal' – Trend an Grundschulen gefährdet späteren Erfolg der Kinder”
 

Hintergrund

Pressemitteilung des BLLV-Dachverbands VBE (Verband Bildung und Erziehung): 
>> “Nicht alles, was denkbar ist, ist eine Lösung”

Der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand im Wortlaut: “Es entspricht nicht unserem Menschenbild, die Kinder dafür verantwortlich zu machen, mehr Unterstützung zu benötigen. Mit Blick auf die Ergebnisse unserer Befragung zur Sprachbildung in Kitas im Jahr 2024 haben wir schon damals festgestellt, dass es ein Umdenken braucht: Von der Defizitorientierung zur Verantwortungsübernahme der Politik. Der beste Ansatz, um mit einem hohen Migrationsanteil in Schule umzugehen, ist es, die individuelle Förderung sicherzustellen. Dies gelingt nur in angemessen kleinen Klassen, mit Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und in einer lernförderlichen Umgebung.”
 

Medienbericht

Simone Fleischmann im Wortlaut in der Süddeutschen Zeitung:

„Wir versuchen, auf diese Kinder positiv zuzugehen. Aber wir haben oft das Gefühl, dass die Gesellschaft dagegen arbeitet.“

„Wir müssen die politische Landschaft dahin bringen, dass jedes Kind mit Migrationshintergrund, das eine bayerische Schule besucht, ein bayerisches Kind ist.“

“Wenn das das Ziel ist, schlussfolgert sie, dann brauche man für diese Kinder mehr Personal: mehr Lehrer und Lehrerinnen für die Regelklassen und für das Fach ‘Deutsch als Zweitsprache’, Soziale Dienste und Psychologen, die wüssten, wie man mit traumatisierten Kindern umgeht. ‘Das ist der einzige Schlüssel zum Erfolg.’