Lehrkräftemangel: Wo und warum?
Auch wenn die Situation an den Grundschulen sich langsam entspannt: Gerade das sollte der Anlass sein, in Zukunft besser zu planen und nicht wieder in den so genannten „Schweinezyklus“ zu verfallen. „Manchmal sind zu viele da für eine Schulart, dann sind wieder zu wenige da. Solange ich denken kann, ist es leider schon so. Man findet nicht den richtigen Weg, dass genau so viele Lehrerinnen und Lehrer am Start sind, wie wir sie fürs Gymnasium oder die Realschulen brauchen“, so Fleischmann. Grundsätzlich geht es aber darum, dass die Studien- und Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte so gestaltet werden, dass „die Besten“ Lehrerin und Lehrer werden wollen und dann auch „Good Stories“ über ihren Beruf erzählen, denn das ist die beste Werbung für das, was Simone Fleischmann als den „besten Beruf“ überhaupt bezeichnet. Zumindest könne er das sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wie sie betont.
Was in diesem „Schweinezyklus“ verloren geht ist nichts weniger als die Bildungsgerechtigkeit – und zwar für alle Kinder, denn jedes Kind braucht und verdient individuelle Förderung. Und dass die Lehrerinnen und Lehrer dies meist nicht leisten können ist das, was sie mürbe macht, zu psychischen Belastungen führt und damit den Beruf oft unattraktiv macht: „Was wir nicht schaffen, ist die Bildungsschere zwischen den reichen Kindern und den armen Kindern zu schließen. ‚Reich‘ heißt hier nicht nur Geld sondern auch Zuwendung, Unterstützung und Möglichkeiten im Vergleich zu den ‚armen‘ Kindern, deren Eltern nicht im gleichen Maße unterstützen können. Diese Schere geht in Bayern so weit auf wie in keinem anderen Bundesland. Und da gibt es auch nur einen Schlüssel zum Erfolg: Das ist die individuelle Förderung. Übrigens bitteschön auch Förderung der begabten und talentierten Kindern. Da gibt es oft Schülerinnen und Schüler, die sind so schlau, denen willst du ja auch was geben. Die brauchen viel mehr Futter, wie wir sagen. Die brauchen mal eine AG Schach, die brauchen einen Mathematikwettbewerb, die brauchen eine Herausforderung im Schreiben. Also brauchst Du auch für die Begabten eine Spitzenförderung. Genauso brauchst du aber für die Kinder, die Sprach- und Lernstörungen oder eine depressive Störung haben, eben Fachpersonal, das diese Kinder abholt. Und es gelingt uns leider in Bayern nicht, diese Schere zu schließen.“
Frühförderung als Schlüssel
Wie verhindern wir also, dass weiterhin bis zu einem Viertel der Kinder nach der Grundschule nicht richtig Lesen, Schreiben oder Rechnen können? Simone Fleischmann: „Der BLLV fordert, die Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das heißt die besten Bedingungen bei den Kleinsten. Wir fordern, die Bildungsfinanzierung üppigst aufzusetzen im Kindergarten und der Grundschule. Und dann braucht man auch nicht mehr so viel Geld in der Nachsorge. Sehr viel Geld steckt nämlich darin, wenn das Kind dann schon mal in den Brunnen gefallen ist, also wenn ein Jugendlicher im Bereich der Mittelschule keinen Abschluss schafft. Jugendhilfeeinrichtungen und eine gute Betreuung, um dann als 17- oder 19-jähriger in den Beruf zu kommen sind teuer. Wenn wir von vornherein im Bereich der Kita und an den Grundschulen beste Förderung hätten, dann würden wir von Anfang an die Kinder gut auffangen.“
Und sie ergänzt: „Es bleibt nichts anderes übrig, als in Bayern und in Deutschland insgesamt dafür zu sorgen, dass die Besten Lehrerinnen und Lehrer werden. Wir brauchen gute Bildung. Wir haben keine anderen Rohstoffe. Wir haben das Hirn und die Köpfe der Kinder und das gilt es zu bilden, wenn wir hier gerne Hightech hätten und wenn wir hier gern Silicon Valley hoch zwei hätten und wenn wir gern die besten Professoren hätten und wenn wir gerne ein gutes Wirtschaftswachstum hier in Bayern hätten. Dann brauchen wir die Investition in die Kinderköpfe. Das geht über beste Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer und dafür braucht es zum Beispiel im Bereich der Mittelschulen eine deutlich höhere personelle Ausstattung als aktuell.“
KI, Digitalität und ein modernes Leistungsverständnis
Die Entwicklung von KI hat auch die Schulen aufgeschreckt. Und sie fällt aktuell zusammen mit einer grundsätzlichen Frage nach digitalen Inhalten, Geräten und der Medienbildung an den Schulen. Wie bilden wir den Nachwuchs im Zeitalter der Digitalisierung, wo müssen wir die Kinder und Jugendlichen schützen und was bedeuten Leistung und Noten in einer Zeit, in der jede Antwort nur einen Klick entfernt ist? Das einfache Abfragen von Fakten wird dabei zumindest bei Referaten und Hausaufgaben schnell zur Farce. Dabei ist das gar nicht so neu, denn auch früher schon haben mal die Eltern einen Aufsatz für die Kinder geschrieben, oder der Opa hat die historischen Fakten für die ein oder andere Aufgabe geliefert.
KI macht neuerdings nur besonders deutlich, wie veraltet der geltende Leistungsbegriff heute ist. „Was ist dann die Aufgabe von Lernen? Was ist dann die Aufgabe von einem Lehrer? Und was ist dann die Aufgabe von Schule? Ja, nicht mehr blankes Wissen abfragen. Das war übrigens früher schon so, wenn ich einen Aufsatz von einem Schüler gelesen habe und mir dachte: ‚Nee, Moment mal, das hast du auf keinen Fall geschrieben‘. Wir haben dann gefragt: Hey, erklär doch mal, was genau steckt dahinter? Wie bist du darauf gekommen? Und erklär mir noch mal den Rechenweg bei diesem Ergebnis. Ich kann mir natürlich vom Opa was erzählen lassen oder ChatGPT fragen und darüber dann ein Referat schreiben. Dann muss ich das aber verankern und dann muss ich zeigen, dass ich es verstanden habe. Und das ist elaboriertes Lernen. Das nennt man übrigens Kompetenz. Angewandtes Wissen ist Kompetenz. Und alle unsere Lehrpläne sind kompetenzorientiert. Das heißt, wir müssten da schon lange alle angekommen sein“, so Fleischmann.
Über Digitalität, Medienbildung und Werte
Apropos Digitalität: Wie eng die Digitalität an den Schulen mit der Medien- und damit auch mit der Werte- und Demokratiebildung zusammenhängt, zeigte sich sehr schnell im Interview auf münchen.tv. Wie geht man damit um, wenn in Klassenchats rechte Inhalte auftauchen oder anzügliche Memes geteilt werden? Woher kommen radikale Gesinnungen an den Schulen und was tun wir dagegen?
„Wir dürfen uns an den Schulen nicht wundern, angesichts einer Radikalisierung der Gesellschaft, wenn sehr viel populistische Politik stattfindet, wenn in hohen Häusern wie im Landtag, aber auch im Bundestag eine Diskussionskultur herrscht, der man lieber nicht beiwohnt. Wenn wir spüren, wie scharf in sozialen Netzwerken gegeneinander agiert wird, dann ist es ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir haben eine Zunahme an Gewalt an den Schulen, aber wir haben eben auch in den sozialen Netzwerken eine Zunahme im qualitativen und quantitativen Sinne. Und das ist für uns ein Auftrag. Der Auftrag ist Medienerziehung“, so Fleischmann.
Ein neues Unterrichtsfach ist kein Allheilmittel
Einem neuen Unterrichtsfach „Medienbildung“ oder auch „KI“ erteilt die BLLV-Präsidentin dabei aber ebenso eine Absage wie der viel diskutierten „Verfassungsviertelstunde“ – auch wenn sie lobt, dass mit der Einführung dieses neuen Formats anerkannt wurde, dass Demokratieverständnis kein Selbstläufer ist. Allerdings führe die Fächerdiskussion mit einer Viertelstunde Verfassungskunde hier, einer Stunde Ernährungskunde da und einer Stunde Finanzen dort nicht ans Ziel. Dabei handele es sich vielfach um Querschnittsthemen, die man auch nicht mit immer neuen Fächern abfangen kann, schon alleine deswegen, weil man die gar nicht unterkriegt.
Das gilt auch für die Medienbildung, wie Simone Fleischmann erläutert: „Die Fächerdiskussion kann ich schon nicht mehr hören, denn wir haben jeden Tag irgendein anderes Fach, das man integrieren könnte. Wir müssen die Fachdiskussion über die Kompetenzen führen! Medienkritische User, medienkritische Demokraten braucht das Land. Das heißt, wir brauchen in allen Fächern kritischen Medienkonsum. Egal, welches Fach dran ist, ob es Geschichte ist, ob es Sozialkunde ist, ob es Erdkunde ist, ob es Deutsch ist, ob es Religion ist, egal welches Fach: Medienrecherche ist Teil davon.“