Kinder und Jugendliche werden in einer digitalen Welt groß und müssen sich darin sicher, reflektiert und verantwortungsvoll bewegen können. Das ist ein komplexes und eminent wichtiges Ziel, nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Schutz der Demokratie. Deswegen haben sich viele Pädagoginnen und Pädagogen auf den Weg gemacht, junge Menschen auf die Chancen und Herausforderungen digitaler Welten vorzubereiten, jeweils altersgemäß, auch schon ab der Grundschule. Grundlage dafür waren auch entsprechende Aussagen der Staatsregierung.
Denn die hatte sich digitale Bildung selbst als Ziel gesetzt und im Koalitionsvertrag wohlklingend vereinbart: "Bis spätestens 2028 sollen sukzessive alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden." Darauf vertrauend haben viele Schulen digitale Infrastruktur aufgebaut, pädagogische Konzepte erarbeitet, umgesetzt und verfeinert und ihre Zukunftsplanung in beiden Bereichen darauf ausgerichtet.
Das sollte pädagogisch entschieden werden
Doch jetzt plötzlich die abrupte Kehrtwende. Nach der Kabinettsklausur hat MP Söder mal wieder beiläufig einen massiven Eingriff in die pädagogische Arbeit an Schulen verkündet. Die Kultusministerin habe ihm einen Vorschlag unterbreitet, der ihm sehr gefalle. Söder im Wortlaut: "Umso jünger, umso weniger digital, dafür mehr klassisch. Das heißt, künftig mobile Endgeräte erst ab der 8. Klasse, vorher liegt der Schwerpunkt auf Schreiben, Lesen auch Handschrift. Das heißt auch, die klassischen Bildungsideale bleiben in Bayern.“
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann zeigt sich davon gegenüber Medienvertretern auf Anfrage extrem überrascht, Lehrkräfte würden kalt erwischt. „Rein in die digitale Welt und jetzt wieder raus“, das sorge für enormen Unmut an den Schulen. Pädagogisch gebe es natürlich eine sinnvolle Debatte über den Einsatz digitaler Geräte. Kernkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben fokussiert analog zu vermitteln, mache grundsätzlich Sinn. Wichtig sei aber, dass Lehrkräfte vor Ort situativ nach pädagogischen Kriterien entscheiden, wann und wie sie ein Tablet einsetzen wollen, so Fleischmann im Bericht von BR24.
Mehr Eigenverantwortung!
Kultusministerin Stolz präzisiert indes, dass die 1:1: Ausstattung grundsätzlich ab der 8. Klasse beginnen soll, Schulen mit Schwerpunkt auf digitalen Kompetenzen könnten schon ab der 7. starten. In Grundschule und in den Jahrgangsstufen 5 und 6 soll mit Leihgeräten „an das digitale Lernen herangeführt werden“.
Irritierend ist dabei, dass derzeit lieber von oben durchreguliert wird, statt auch angesichts großer Unterschiede in der Schülerschaft bayerischer Schulen auf die professionelle pädagogische Expertise derer zu setzen, die sehr gut einschätzen können, welche Lernmittel für ihre Kinder und Jugendlichen geeignet sind: Lehrerinnen und Lehrer.
Populismus oder Pädagogik?
Die sind nämlich prinzipiell sehr gut darin, pädagogische Konzepte zu entwickeln und langfristig umzusetzen. Dafür brauchen sie aber verlässliche Entscheidungsgrundlagen, deren Halbwertszeit bitte länger sein muss als der sich vermeintlich drehende Zeitgeist, dem manche Politiker glauben hinterherlaufen zu müssen. Schulen brauchen Vertrauen und Verlässlichkeit.
» zum Bericht auf BR 24: „Bayern steuert um: Schluss mit Tablets für Fünftklässler“

Staatsregierung streicht mobile Digitalgeräte: Kehrtwende ins Chaos!
MP Söder verordnet entgegen des Koalitionsvertrags, mobile Endgeräte nicht vor Klasse 8 einzusetzen. „Erst rein und jetzt wieder raus, das geht nicht!“, kritisiert BLLV-Präsidentin Fleischmann. Das erschwert wichtige digitale Bildung und Medienerziehung.
Kommentar: Was das konkret an Schulen auslöst

Die gestrige Ankündigung des Ministerpräsidenten, dass es mobile Endgeräte nur mehr ab der 8. Jahrgangsstufe geben soll, hat Bayerns Realschulen kalt erwischt und für größte Verunsicherung gesorgt. Viele Realschulen arbeiten seit Jahren erfolgreich mit 1:1 Ausstattungen ab der 5., 6. oder 7. Klasse - nicht zuletzt ermutigt durch den Koalitionsvertrag und die Offensive "Digitale Schule der Zukunft", die die Ausstattung ab der 5. Klasse ausdrücklich vorsieht.
Im März wurden die Schulen über unveränderte Rahmenbedingungen fürs nächste Schuljahr informiert - einschließlich der möglichen Geräteausstattung ab Jahrgangsstufe 5. Die Planungen fürs nächste Schuljahr sind längst abgeschlossen, Elternabende gehalten, Lehrkräfte fortgebildet, Bestellungen und Projektwochen geplant.
Die Kollegien, die in den vergangenen Jahren größte Mühe in die Erarbeitung und Umsetzung von organisatorischen und didaktischen Konzepten gesteckt haben (und das alles ohne eine einzige Stunde Entlastung), verstehen die Welt nicht mehr: Gestern war die "Digitale Schule der Zukunft" noch DAS Erfolgsmodell und heute ist auf einmal alles anders?
Lehrkräfte und Schulleitungen brauchen nun sofortige Klarheit, was diese überraschende Kehrtwende für die Praxis bedeuten soll; insbesondere muss sichergestellt sein, dass erfolgreiche Vorarbeiten nun nicht Makulatur sind, sondern dass alle Schulen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben und erfolgreich Konzepte ab Klasse 5 eingeführt haben, diese auch weiterführen können.
<< Tobias Schreiner, Leiter der Fachgruppe Realschule im BLLV
Kommentar: Digitale Kehrtwende ohne sachliche Begründung verspielt Vertrauen!

Ein Faktencheck des Referats Digitalisierung
Der Paukenschlag am 2. Juni 2025, Söder kündigt mobile Endgeräte zukünftig erst ab der 8. Klasse an, „vorher liegt der Schwerpunkt auf Schreiben, Lesen, Handschrift auch“, so der Ministerpräsident und weiter „das sind auch die Erfahrungen aus den Ländern in Skandinavien an der Stelle gemacht hat“. Doch was heißt das jetzt für die Schüler, Familien und Lehrkräfte? Eine Einordnung der Fachexperten des BLLV zur Digitalisierung:
Sollten Lesen, Schreiben und Handschrift durch digitale Endgeräte überhaupt zurückgedrängt werden?
Nein, das ist nicht der Fall.
Digitale Geräte wie Tablets, sollten begleitend im Unterricht eingesetzt werden, gerade auch um aktuelle Texte aus den Tagesmedien lesen und besprechen zu können, Informationsrecherche betreiben und handschriftliche Notizen auf dem Gerät machen zu können. Zudem wurde in zahlreichen Pilotklassen klar, dass das Tablet aufgrund des kleinen Bildschirms immer nur Heft oder Buch ersetzen kann. Von einem Zurückdrängen der klassischen Bildungsideale durch Digitalisierung zu reden, ist purer Populismus.
Aber was ist mit der durch digitale Geräte in der Schule gestiegenen Bildschirmzeit?
Auch Bildschirmzeit muss differenziert betrachtet werden.
Nicht das technische Medium ist problematisch, sondern ggf. die Inhalte, die konsumiert werden. Warum soll die Nutzung digitaler Schulbücher ein Nachteil sein, wenn beispielsweise in Geschichte mediale Zeitzeugendokumente den Unterrichtsstoff anschaulicher machen? Ebenso bieten die digitalen Portale der öffentlichen Bibliotheken ein übergroßes Potential, das aber erst erlernt werden muss. Die Realität schaut doch so aus, dass fast 100% der Schüler:innen in der Sekundarstufe über ein Smartphone verfügen und dieses fast ganztägig vollumfänglich und unkontrolliert nutzen. Es braucht hierzu einen digitalen Ausgleich in der Schule, aber nicht durch Medienverbote, sondern durch gezielte Gegenpole zur extremistischen Dauerbeschallung auf Tiktok. Seriöse Nachrichtenformate, hilfreiche digitale Lernszenarien und sofortige Feedbacks zu Übungsszenarien kommen nicht von alleine zu den jungen Menschen, sie müssen im Unterricht erarbeitet werden.
Geht der digitale Unterricht nicht viel sicherer ausschließlich über die digitale Tafel in der Schule? Könnte man hier nicht gemeinsam Lehrfilme schauen und recherchieren?
Kompetenzen werden nicht durch das Zuschauen erworben, sondern durch die individuelle Nutzung von Medien.
Ein Lehrfilm ist nur dann gewinnbringend, wenn der Nutzer ihn individuell pausieren kann, um in seine Tempo Informationen aufzunehmen oder Schlüsselstellen zu wiederholen. Der lehrerzentrierte Unterricht an der Tafel hilft hier nicht weiter. In der realen Lebenswelt wird individuell recherchiert, wenn eine Frage auftaucht. Hierfür müssen die Schüler:innen den kritischen Umgang mit Internetmedien selbst erlernen, das geht nicht im Demonstrationsversuch.
Aber der Ordnungsrahmen! Wo kommen wir hin, wenn die Schüler:innen im Unterricht auf dem eigenen Tablet Minecraft zocken?
Wir Lehrkräfte sind kompetent, einen Ordnungsrahmen im Klassenzimmer abzustecken. Dabei bestimmen wir, wann Tablets verwendet werden oder nicht. Klare Absprachen helfen hier ebenso weiter wie die Tatsache, dass eigene Apps während der Schulzeit auf Schülergeräten unterdrückt werden können.
Und Skandinavien? Schweden ist doch bei der Digitalisierung zurückgerudert!
Skandinavien ist in Sachen Digitalisierung im Bildungsbereich auch trotz einer teilweisen Umkehr immer noch weit vorne und war und ist keine Blaupause für digitale Bildung in Bayern.
Niemals wurde bei uns umgesetzt oder realistisch geplant, Bücher aus der Schule komplett abzuschaffen und nur noch digitale Medien zu verwenden. In Schweden werden nun wieder gedruckte Bücher verwendet und digitale Geräte nur noch in passenden Szenarien verwendet. Genau das ist das Konzept der digitalen Schule der Zukunft! Sinnvoll nutzen ohne Bashing der Internetmedien.
Welche neuen wissenschaftlichen Daten gab es vor der Entscheidung, mobile Endgeräte vor der 8. Klasse wieder zu verbannen?
Keine!
Beispielsweise eine wissenschaftliche Auswertung der Uni Würzburg zu Tabletklassen im Landkreis Aschaffenburg ist noch nicht abgeschlossen. In den Zwischenergebnissen gab es jedoch keinerlei Anhaltspunkte, dass die Tabletnutzung ausgesetzt werden müsste. Ebenso hat das Kultusministerium erst am 22.5.25 das Anmeldeportal für neue Klassen im Projekt „Digitale Schule der Zukunft“ aller Jahrgangsstufen der Sekundarstufe geöffnet und auch eine bessere Begleitung der Grundschulen bei der Nutzung von Tablets im Unterricht initiiert. Die Entscheidung vom 2.6. war absolut nicht absehbar und ist auch nicht begründet.
Wurde Vertrauen verspielt?
Ja, bei den Lehrkräften, die sich verstärkt seit 2024 auf dem Weg zur digitalen Schule gemacht haben, wurde massiv Vertrauen verspielt.
Trotz der hohen Arbeitsbelastung in der Mittelschule in einer Zeit massiver Notlage durch Lehrkräftemangel und belastenden Vertretungsszenarien wurde ausprobiert, Technik auf Stand gebracht, Elternabende gehalten, zahlreiche Fortbildungen nach Unterrichtstagen besucht und vieles mehr – nur um jetzt aus der Presse zu erfahren, dass der Ministerpräsident mobile Geräte plötzlich nicht mehr gut findet, vor der 8. Jahrgangsstufe. Das ist nicht mangelnde Wertschätzung, sondern ein Schlag ins Gesicht vieler engagierter Lehrkräfte!
Was sind die finanziellen Auswirkungen?
Der Freistaat macht wohl erstmals seit Jahrzehnten Schulden – gleichzeitig kommt man auf die Idee, die Förderung von schülereigenen Tablets in der Sekundarstufe massiv zurückzudrängen. Zufall? Da Schülern bisher nach einer ausreichend großen Wartezeit eine zweite Geräteförderung zustand, dürfte diese nun für alle Schularten außer dem Gymnasium massiv weniger werden. Die Förderkosten für den Freistaat dürften also massiv zurückgefahren werden.
Fazit:
Für die Entscheidung des pauschalen Zurückruderns bei der Nutzung digitaler Endgeräte in der Schule sind keine sachlichen Gründe nachvollziehbar, da der Plan ohnehin einen behutsamen und pädagogisch begleiteten Einsatz vorgesehen hatte. Möglichen Fehlentwicklungen, beispielsweise in Einzelfällen die unreflektierte und ungeschulte Dauernutzung von Tablets durch Schüler:innen bedürfen keines Verbots, sondern einer Entlastung, Schulung und Begleitung der Lehrkräfte. Die Frustration vieler beteiligter Kolleginnen und Kollegen steigt ins unermessliche und die größten Leidtragenden sind die Kinder und Familien, für die nun ein Teil von Medienerziehung und Medienkompetenzerwerb durch die Schule wegfällt. Ein Trauerspiel für unsere Demokratie, denn durch die Entscheidung des Ministerpräsidenten wird keine Minute weniger politische Desinformation auf Tiktok konsumiert werden! Der demokratische Gegenpol aus dem bayerischen Bildungssystem wird aber zusehends kleiner.
<< Felix Behl, BLLV Referatsleitung Digitalisierung
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BR 24 im Wortlaut:
"Noch im März seien die Schulen über unveränderte Rahmenbedingungen fürs nächste Schuljahr informiert worden, einschließlich der möglichen Geräteausstattung ab Jahrgangsstufe 5, erläuterte Tobias Schreiner, Leiter der Fachgruppe Realschule im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV)."
"Der BLLV beklagte eine ‘Kehrtwende ins Chaos’. ‘Erst rein und jetzt wieder raus, das geht nicht’, sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Schulen hätten auf die Ankündigungen der Staatsregierung vertraut. Als ‘irritierend’ bezeichnet der BLLV auf seiner Internetseite, ‘dass derzeit lieber von oben durchreguliert wird’, statt angesichts großer Unterschiede in der Schülerschaft auf die pädagogische Expertise der Lehrerinnen und Lehrer zu setzen."
Das Fazit von Kommentatorin Sarah Ritschel:
"Jahrelang haben Modellschulen erprobt, wo Tablets im Unterricht hilfreich sind. Lehrkräfte besuchten Fortbildungen, tüftelten an Medienkonzepten, damit sie die Geräte sinnvoll einsetzen können - und zwar so, dass sie Kinder beim Lesen und Schreibenlernen unterstützen, statt diese Fähigkeiten verkümmern zu lassen. An den meisten Schulen weiß man, wie man Kinder in einer digitalen Welt am besten fördert. Die Staatsregierung sollte den Lehrkräften vertrauen, statt sie wie ein launischer Direktor zu behandeln."
Simone Fleischmann im Wortlaut bei Tagesspiegel Background:
"Das ist ein falscher Schritt, weil die digitalen Pioniere ausgebremst werden. Außerdem geht es bei den Tablets nicht um Endgeräte als Selbstzweck, sondern darum, Schulen und Schüler aufs 21. Jahrhundert vorzubereiten."