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Lässt sich gegen eine Impfpflicht vorgehen?

Eine Lehrerin will auf ärztlichen Rat hin eine Corona-Impfung vermeiden. Nun fürchtet sie die Einführung einer berufsbezogenen oder gar allgemeinen Impfpflicht. Bis vor kurzem hatten Politiker eine solche Pflicht ausgeschlossen.

Der Fall

Realschullehrerin V.* versteht die Welt nicht mehr: Seit Beginn der Pandemie hat sie stets ihre Frau gestanden und auch viele Stunden zusätzliche Arbeit von zu Hause geleistet, um ihre Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu versorgen. Aufgrund ihrer Vorerkrankungen hat ihr Hausarzt ihr bislang von einer Impfung abgeraten. Bisher hat sie aber mit viel Vorsicht und Umsicht auch im Präsenzunterricht eine Ansteckung vermeiden können. Und sie vertraute auf die Zusagen aus der Politik, dass es nicht zu einer Impfpflicht kommen würde.

Die Lage

Die Lehrerin fällt glücklicherweise nicht unter die Masernimpfpflicht, da sie Jahrgang 1969 ist. Gegen Impfungen ist sie nicht grundsätzlich, möchte dies jedoch ihrem Körper nicht antun. Und jetzt? Im Winter 2021/22 droht nicht nur eine berufsbezogene Impfpflicht zu kommen. Auch eine allgemeine Impfpflicht wird aufgrund des Infektionsgeschehens immer wieder diskutiert. Lehrerin V. sieht darin einen groben Eingriff in ihre Grundrechte und wendet sich hilfesuchend an die Rechtsabteilung des BLLV.

Die Argumentation

Die rechtliche Lage ist relativ klar, bekommt Frau V. hier zu hören: Das IfSG (Infektionsschutzgesetz) beinhaltet zwar keine Ermächtigungsgrundlage für eine generelle Impfpflicht. Allerdings kann das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nach § 20 Abs. 6 IfSG durch Rechtsverordnung festlegen, dass im Falle übertragbarer Krankheiten mit klinisch schweren Verlaufsformen, die die Gefahr einer epidemischen Verbreitung begründen, bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben.

Eine solche Rechtsverordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Das BMG hat bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der bayerischen schule von dieser Kompetenzmöglichkeit, eine allgemeine und flächendeckende Impfpflicht festzulegen, keinen Gebrauch gemacht, sodass es den Ländern nach § 20 Abs. 7 IfSG obliegt, eine entsprechende Rechtsverordnung zu erlassen.

Bei der Krankheit Masern hingegen hat das BMG von dieser Regelungskompetenz Gebrauch gemacht und die allgemeine Impfpflicht gegen Masern eingeführt. Die Einführung dieser Impfpflicht wurde vom Bundesverfassungsgericht als zulässig erachtet. Ob dieses Gericht bei einer Corona-Impfpflicht ähnlich entscheiden würde, ist derzeit noch Spekulation. Und bislang haben auch die Länder keine Rechtsverordnungen vorgelegt, sodass derzeit keine Rechtsgrundlage für eine Impfpflicht im Seuchen- und Infektionsfall der Gesamtbevölkerung besteht.

Nach dem aktuellen IfSG kann jedoch auch grundsätzlich eine Impfpflicht für eine bestimmbare Personengruppe festlegt werden. Diese Verpflichtung muss als grundrechtlicher Eingriff verhältnismäßig sein. Verhältnismäßig und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist ein Eingriff, wenn dieser ein legitimes Ziel verfolgt. Und geeignet und erforderlich kann er sein, da kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung steht.

Der Schluss

Mit Blick auf die juristische Lage muss Realschullehrerin V. also feststellen, dass ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht anderer, nicht dem Risiko einer möglicherweise tödlichen Infektion mit dem Corona-Virus ausgesetzt zu werden, nicht den selben Stellenwert haben. Da sie laut Gesetzgeber durch eine Impfung etwas zum besseren Schutz Anderer beizutragen vermag, kann sie hierzu sogar verpflichtet werden. Sollte jedoch eine Impfunverträglichkeit bei ihr vorliegen, würde sie natürlich nicht unter eine Impfpflicht fallen. // Bernd Wahl, Leiter der Rechtsabteilung des BLLV

*Name von der Redaktion geändert

Die Rechtskolumne erschien in der bayerischen schule #1/2022.