BNE-Interview-Werner-Grabl-2021
Foto: Anton Gschrei
Interview mit Werner Grabl, Fachlicher Leiter des Passauer Schulamts BNE & Umweltbildung
Klimaschutz

Kinder sollen von klein auf erfahren, dass es auf sie ankommt

Für Werner Grabl muss „Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)“ mit positiven Erlebnissen verbunden sein.

Werner Grabl setzt sich bereits seit Jahrzehnten für Umwelterziehung und eine nachhaltige Schule ein. Der Fachliche Leiter des Passauer Schulamts will als Koordinator und Motivator von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) Mut machen und positive Veränderungen für die Schule und die Umwelt anstoßen. Anton Gschrei hat Werner Grabl in seinem Naturgarten besucht und mit ihm über Umweltbildung und nachhaltiges Lernen gesprochen.

Anton Gschrei: Herr Grabl, Sie waren heute bereits beim Schwammerlsuchen. Haben Sie was gefunden?
Werner Grabl: Ja, ich war erfolgreich! Ich war um 7 Uhr am Dreisessel und es waren noch keine Leute unterwegs. Das ist für mich immer ein Naturerlebnis: Freiheit erleben und Natur genießen. Das ist Erholung und Entspannung pur. Aber ich erlebe dabei auch die Auswirkungen der Borkenkäfer-Invasion; gerade rund um den Dreisessel werden die geschädigten Bäume mit dem „Harvester“ entfernt. Und dort, wo der Harvester seine Spuren hinterlässt, da wachsen keine Schwammerl mehr.

Gerade wegen Corona haben viele ihre Liebe zur Natur entdeckt. Aufgrund der vielen Beschränkungen haben sich viele mit Spaziergehen, Bergsteigen, Wandern oder eben auch Schwammerlsuchen abgelenkt. Oft war zu hören: „Wie schön ist es doch bei uns.“ Dass es so bleibt, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. Für Sie als Schulamtsdirektor am Schulamt Passau ist Bildung für Nachhaltigkeit deshalb seit langem ein Herzensanliegen. Bleibt dafür in Zeiten von Corona überhaupt noch Zeit?
Klar, Corona dominiert derzeit noch alles. Und vielleicht müssen wir in Zukunft auch mit Corona leben. Aber das zentrale Thema der Zukunft ist Nachhaltigkeit. Wir haben dazu den Verfassungsauftrag, wir haben dazu die Lehrpläne, wir haben dazu die Agenda 2030. Wir brauchen jetzt dringend einen Pakt für Nachhaltigkeit. Viele sagen, es ist 5 vor 12! Ich zitiere da gerne einen Buchtitel von Prof. Harald Lesch: „Wenn nicht jetzt, wann dann“. Ein sehr lesenswertes Buch! und deshalb haben wir im Schulamtsbezirk Passau ein Netzwerk BNE gegründet. Was uns Corona übrigens auch gezeigt hat: Wenn wir Menschen den Lebensraum von Tieren zerstören, kann es sein, dass Viren es leicht haben, auf den Menschen überzuspringen, Stichwort Zoonose. Aus der Corona-Krise sollten wir mitnehmen: Wenn wir Menschen gegen die Natur leben, dann wird die Natur gegen den Menschen leben. Und das gilt auch insbesondere für den Klimawandel. Es muss das doch ein Weckruf für alle mündigen Bürger sein, wenn heuer fast 200 Menschen in Deutschland (nicht in Bangladesch!) nach einem wohl durch den Klimawandel verursachten Unwetter ertrinken und ein materieller Schaden von derzeit 30 Milliarden entsteht.

Wie kam es zur Gründung des Netzwerkes?
Wir haben im Schulamtsbezirk vor zwei Jahren eine Umfrage unter unseren Schulen gemacht: Welche Themen der klassischen Umweltbildung werden im Unterricht umgesetzt? Das Ergebnis war sehr different. Deshalb haben wir alle Umweltbeauftragten aus Stadt und Landkreis Passau eingeladen, auch aus den anderen Schularten wie Gymnasium und Berufsschulen. Es hat sich gezeigt, dass die Umweltbeauftragten gerne mehr machen würden, aber sie dafür Unterstützung bräuchten. So entstand die Idee, ein Netzwerk aufzubauen – mit Vertretern von Behörden, Verbänden, Lehrkräften aller Schularten und Fridays for future, um den interessierten Kollegeninnen und Kollegen diese Unterstützung anbieten zu können.

Wie muss man sich die Arbeit des Netzwerkes vorstellen?
In diesem ersten Netzwerk waren rund 30 Personen miteinander vernetzt. Im Juni 2020 ging man die Aufgabe an, aus den 17 Zielen der Agenda 2030 (SDG’s: Sustainable Development Goals) die für den schulischen Alltag notwendigen Zielvorgaben zu definieren. Im nächsten Schritt wurden verschiedene Arbeitskreise gebildet, die sich mit der Umsetzung der einzelnen Ziele beschäftigen. Neben den 17 Zielen der Agenda 2030 haben wir uns auf das Drei-Säulen-Modell konzentriert: die klassische Umweltbildung, das globale Lernen und die Demokratiepädagogik – analog zum Konzept des BLLV. Auf diese drei Säulen haben wir unsere Arbeitskreise aufgebaut. Dabei geht es um Ernährung und Gesundheit, Energie, Mobilität und Klima, Ressourcen und Konsum, Naturerfahrung und Lernen vor Ort, Kultur der Digitalität, Kunst, Musik und Literatur, Energiewende: Berufe der Zukunft, Demokratie und Partizipation. Hinzu kommen drei übergeordnete Arbeitskreise, die sich mit der Lehrerbildung, dem Bereich Werte und Umweltethik sowie der Prozessbegleitung beschäftigen.  

Wer sitzt in diesen Arbeitskreisen? Wie arbeiten diese Arbeitskreise?
Diese Arbeitskreise, die sich als multiprofessionelle Teams verstehen, setzen sich aus Lehrkräften unterschiedlichster Schularten, Lehrpersonal der Universität Passau, Vertretern aus Behörden, Verbänden und Organisationen sowie Fridays for Future und Vertretern der Wirtschaft zusammen. Jeder Arbeitskreis hat eine feste Leitung sowie einen Stellvertreter; die Arbeitssitzungen werden unabhängig voneinander angesetzt.

Viele, gerade in der Politik, setzen in der Klimakrise auf technologische Innovationen. Retten uns technische Erfindungen?
Das ist die entscheidende Frage. Hier muss ich an die Online-Sommerschool mit chinesischen Lehramtsstudenten denken, an der ich vor kurzem teilgenommen habe. Das zentrale Thema der Online-Sommerschool war die Bildung für Nachhaltigkeit. Was viele nicht wissen: In China gibt es über eine Million Greenschools. Sie sind etwa vergleichbar mit unseren Umweltschulen. An diesen Greenschools werden mit den Schülern Umweltprojekte durchgeführt. Aber egal, um welches Umweltproblem es sich handelt, was stand für die einzelnen Lehramtsstudenten als Lösung ganz oben? Technik, Technik, Technik! Dass auch eine Änderung des Lebensstils notwendig sein wird, haben die wenigsten Studenten genannt.  

Dann hat Papst Franziskus durchaus Recht, wenn er den Glauben an die technischen Lösungen kritisiert?
Ich bin überzeugt davon, dass eine Änderung unseres Lebensstils nötig sein wird, um unsere Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. Technische Entwicklungen sind wichtig, aber sie reichen nicht. Denn trotz besserer Technik ist unser CO2- Ausstoß ständig weiter gestiegen. Wir setzen aktuell zu wenig auf ein verändertes Verhalten und zu viel auf neue Technologien. Bei diesem Thema werden deshalb Begriffe wie Haltung und Glaubwürdigkeit eine Rolle spielen. Deshalb ist mir der Arbeitskreis Werte und Umweltethik auch sehr wichtig. Es geht darum, bei den gesetzten Zielen (z. B. CO2-Einsparung) vom Sollen zum Wollen zu kommen. Dabei schauen wir zunächst auf uns selbst als Lehrkräfte: Auch wir sollten diese Haltung, diese Glaubwürdigkeit verinnerlichen. Nur dann wird dieser Funke auch auf die Schülerinnen und Schüler überspringen. Mein pädagogisches Motto war immer: „Nur wer selber brennt, kann zünden.“ Und da sind wir dann schnell beim lernwirksamen Unterricht, wenn wir nach Prof. Zierer auf die Effektstärken eines lernwirksamen Unterrichts mit Kopf, Herz und Hand richten: Zielklarkeit, Haltung und Glaubwürdigkeit der Lehrperson sind eminent wichtige Faktoren.

Sie sprechen den Arbeitskreis Werte und Ethik an. Auf welche Werte sollten wir uns wieder besinnen?
Schauen wir uns die aktuelle Situation an. Viele Menschen leben doch auf einem Egotrip. Es beginnt schon bei unserem Freizeitverhalten. Müssen wir im Urlaub ständig um die Welt fliegen? Ich habe heute Morgen beim Schwammerlsuchen unsere wunderschöne Landschaft erlebt. Dazu brauche ich keine Fernreisen auf andere Kontinente. Es geht auch um unsere Ernährung, um die Gestaltung unserer Gärten. Brauche ich den Rasenroboter oder schätze ich die körperliche Arbeit wieder mehr? Angela Merkel stellte dieses Jahr fest, dass wir auf Kosten der künftigen Generationen leben. Ja, da müssen wir uns schon selbst auch hinterfragen und unseren Life-Style kritisch hinterfragen. Der ökologische Fußabdruck zeigt uns deutlich auf: Wir leben auf zu großem Fuß.

Bedeutet das, wir brauchen eine Kultur des Verzichts?
Ich würde da nicht von Verzicht sprechen. Das klingt sehr negativ. Ich würde eher sagen: „Weniger ist mehr!“. Und das muss gar kein Verzicht sein, sondern kann auch ein Gewinn sein. Wir leben in einer wunderbaren Landschaft, die es zu schützen und noch viel mehr zu schätzen gilt. Es geht auch um Werte, zum Beispiel um Entschleunigung contra Beschleunigung. Und dazu kommt der Gedanke, dass unser Handeln Auswirkungen auf unser aller Welt hat. Da gilt der Grundsatz: Global denken, lokal handeln.

Womit müssen wir uns noch anfreunden?
Wir müssen auch endlich akzeptieren: „Die Natur ist kein Verhandlungspartner.“ Wir erleben das doch hautnah: Flutkatastrophen, Starkregen, Klimawandel, Artensterben und vieles mehr. Die Natur wird zurückschlagen. Das zeigt, wir müssen unser Leben nachhaltiger gestalten. Wir brauchen eine Kultur der Genügsamkeit. Maßhalten ist eine alte Tugend, die es wieder zu beachten gilt. Der Bildungsforscher Prof. Dr. Rainer Dollase von der Universität Bielefeld hat schon vor 20 Jahren den Abschied vom Egotrip gefordert. Wir müssen uns klar werden, wir dürfen unseren Egoismus nicht weiter ausleben. Wir sind verantwortlich für unsere Kinder, Enkelkinder und die nachfolgenden Generationen. Nachhaltigkeit bedeutet, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation im Zusammenspiel von Ökonomie, Ökologie und Sozialem zu erfüllen versuchen, ohne gleichzeitig die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen zu zerstören bzw. nicht im Blick zu haben. Die Welt sollte von allen Menschen so gestaltet werden, dass sie auf Dauer lebenswert und bewohnbar bleibt.
Weniger ist mehr und Teilen bedeutet Überleben. Wir müssen neue Werte schaffen, mit den derzeitigen Wünschen und Vorstellungen für ein lebenswertes Dasein – immer nach dem Motto „höher, schneller, weiter, noch mehr“ – geht das nicht. Die Schule hat dabei eine riesige neue Aufgabe. Menschen haben die Angewohnheit, Informationen, die Ihnen zuviel an moralischen Denken und Handeln abverlangen, nicht nur zu bezweifeln, sondern als unglaubhaft zu verwerfen. Dazu schrieb der britische Wirtschaftswissenschaftler John M.Keynes: „The difficulty lies not in the new ideas, but in escaping from the old ones, which, the way we were brought up, ramify in all corners of our mind.“ Übersetzt: „Die Schwierigkeit liegt nicht in den neuen Ideen, sondern darin, den alten Ideen zu entkommen, die, so wie wir aufgezogen wurden, sich an alle Winkel unseres Denkens verzweigen.“

Eine wichtige Stimme für den Naturschutz war in den vergangenen Jahren auch Papst Franziskus mit „Laudato si“. Kann Religion und Spiritualität hier wirklich eine Unterstützung sein?
Absolut! Der Schöpfungsauftrag meint, dass die Menschen die Erde in Ehrfurcht und Verantwortung bebauen, bewahren und schützen sollen. Der Mensch steht mit seinen Mitgeschöpfen in einer Schicksalsgemeinschaft. Gerade der Religionsunterricht spielt hier eine wichtige Rolle. Pfarreien und Eine-Welt-Arbeitskreise können Kooperationspartner für schulische Bildung und Nachhaltigkeitsprojekte sein. Gerade beim Globalen Lernen können Kirche und Pfarreien wichtige Partner sein.

Jugendliche werfen unserer Generation, den „alten weißen Männern“, vor, die Erde zerstört zu haben, zumindest in Sachen Umweltschutz versagt zu haben.
Ich denke, dass Fridays for future hier schon den Finger in die Wunde gelegt haben; wir haben Jahre vergehen lassen, um zum Beispiel wirksam gegen den Klimawandel vorzugehen. Und der Klimawandel existiert doch nicht seit einem Jahr. Und wenn schon ein Bundesverfassungsgericht aktiv werden muss, dann spricht das doch Bände!

Dabei war Umwelterziehung schon mal ein großes Thema für uns Lehrkräfte…
Vor 25 Jahren war ich am ISB in der Lehrplankommission im Fach G/S/E. Als Berater zum Thema „Klima“ (7. Jgst.) stand uns der Klimaforscher Prof. Sailer vom Fraunhofer-Institut in Garmisch-Partenkirchen zur Seite. Im Lehrplan haben wir auf sein Hinwirken hin das Thema „Anpassungsstrategien (auf die kommenden Unwetterkatastrophen) entwickeln“ ganz oben im Lehrplan fixiert. Und heute tun noch viele so, als wenn diese Katastrophen erst ein Thema der Gegenwart wären. Wir versiegeln weiterhin, begradigen Flüsse, bauen Häuser an exponierte Stelle,…

Andererseits habe ich in diesem Sommer in Regensburg gesehen, wie Jugendliche nach einer Party eine vermüllte Wiese zurückgelassen haben. Wie ernst meint es die Jugend mit dem Umweltschutz?
Natürlich gibt es auch Jugendliche, für die der Konsum ganz oben steht. Die Werbung und viele Erwachsene leben es ihnen doch auch vor. Aber ich lerne aktuell viele engagierte Jugendliche kennen, wie ich sie in den letzten 25 Jahren nicht erlebt habe. Wir arbeiten in unserem Netzwerk mit Jugendlichen von Fridays for future zusammen. Das sind ganz engagierte Jugendliche. Die sind politisch aktiv, bringen Vorschläge ein und engagieren sich. Ohne diese Bewegung würden wir heute nicht so über den Klimawandel diskutieren. Ich bin da sehr optimistisch.

Sie haben auch angesprochen, dass Demokratie und Partizipation ein wichtiger Baustein von BNE ist. Schule ist allerdings eine hierarchische Organisation. Wie kann da Partizipation erfolgen und diese engagierten Jugendlichen besser eingebunden werden?
Partizipation ist die Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung. Es muss uns gelingen, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Das ist das Grundprinzip erfolgreicher Bildung für Nachhaltigkeit. Wenn Kinder von klein auf erfahren, dass es auf sie ankommt, dass sie mitgestalten können, dann lernen sie auch Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. BNE muss lebenswelt- und alltagsbezogen, erlebnis- und erfahrungsbezogen sein.

Wie soll das konkret gehen?
Hier geht es darum, wie wir in der schulischen Arbeit, die entsprechende Gestaltungskompetenz und das Gefühl von Selbstwirksamkeit entscheidend fördern können:

Dazu drei Beispiele:

  • Schüler gehen in Geschäfte/Imbissbuden etc. in ihrer Umgebung und fragen z. B,. was deren Inhaber tun können, damit Ihre Angebote nachhaltiger werden, nachhaltige Produkte eher gefunden und gekauft werden, weniger verpackt werden müssen etc.; und das Ganze wird dann auch veröffentlicht.
  • Schüler schreiben Mails an (Kommunal-)Politiker zu Nachhaltigkeitsthemen, laden Sie zu Diskussionsrunden in die Schule ein.
  • Ein Beispiel kann das naturnahe Gestalten des Schulgeländes sein. Hier können Schüler in das Planungsteam eingebunden werden. Grundsätzlich sollte die gesamte Schulentwicklung teamorientiert erfolgen. Das bedeutet, dass auch Schüler und Eltern miteingebunden sind. Aber nicht nur über die Schule können Jugendliche eingebunden werden, sondern auch über den Kreisjugendring und über kommunale Projekte.

Aus den Richtlinien zur Umweltbildung an Bayerischen Schulen (2003) geht eindeutig hervor, dass es expliziter Auftrag von Schule und Unterricht ist, die Schülerinnen und Schüler zu politischem Handeln zu befähigen und sie dabei zu begleiten.

Andererseits habe ich manchmal den Eindruck, dass wir vor 30 Jahren schon mal weiter waren mit der Umweltbildung. In meinem Studium und auch in der Seminarzeit war das ein großes Thema.
Ja, das ist richtig. Wir waren im schulischen Bereich vor 25 Jahren deutlich weiter. Es gab damals viele Veranstaltungen und Lehrgänge. In Dillingen war Umweltbildung ein zentrales Thema. Es hatte einen höheren Stellenwert als heute. Die Umweltbildung hat dann auch innerhalb der Schulverwaltung und der Schulpolitik an Bedeutung verloren. Hier war der Ansatz der Umweltbildung im Sinne der Agenda 21 nicht nachhaltig. Es ist nicht gelungen, das Feuer, das etwa Mitte der 1990er-Jahre da war, weiterzugeben. Im technischen Umweltschutz oder im Ausbau der regenerativen Energie, insbesondere der Photovoltaikanlagen, gab es Fortschritte, aber die Herzensbildung, das Betroffensein für das Schützenswerte, für den Erhalt der Natur sind meiner Meinung nach auf der Strecke geblieben. Das gilt auch innerhalb einer auf Nachhaltigkeit hin angelegten Lehrerbildung.

Sie sagen die Herzensbildung sei auf der Strecke geblieben. Wissen kann man vermitteln. Aber wie können wir diese Haltung, diese Herzensbildung anbahnen und Schüler für Umweltthemen und BNE begeistern?
Wissen kann ich abprüfen, Haltungen zu vermitteln ist sicher schwieriger. Hier bin ich als Lehrer herausgefordert, Vorbild zu sein. Und ich kann das auch nicht so einfach messen. Vielleicht merke ich das erst nach Jahren. Es darf keine Katastrophenpädagogik sein, sondern es muss mit positiven Erlebnissen verbunden sein. Kinder müssen Selbstwirksamkeit erfahren. Sie sollen aufmerksam werden, Schauen lernen und Staunen dürfen. Nachhaltiges Lernen geht über das Einbeziehen der verschiedenen Sinnesorgane Hören, Sehen, Fühlen, also über Herz, Kopf und Hand. Durch das vielseitige Wahrnehmen über die Sinnesorgane werden alle neuen Informationen aufgenommen, gespeichert und miteinander verknüpft.

Das heißt, wir brauchen mehr vernetztes Lernen?
Vernetztes Lernen und die Vernetzung einzelner Fächer ist unbestritten die Voraussetzung um erfolgreich im Themenfeld BNE zu arbeiten. Es gilt, BNE als Unterrichtsprinzip quer durch alle Fächer umzusetzen. Gerade im Bereich Ökologie, Ökonomie und Klima bietet vernetztes Denken die Chance, bislang unlösbare Problem auf nachhaltige Weise anzugehen. Dazu gehört auch das Philosophieren mit Kindern dazu wie zum Beispiel über Fragen „Wie viel ist genug?“ oder „Wem gehört die Natur?“.

Nachhaltigkeit stößt in der Gesellschaft immer noch auf Widerstände. Auch in der Schule ist noch viel zu tun. Wie Sie schon gesagt haben, waren wir vor 25 Jahren in manchen Bereichen weiter. Wo brauchen Sie konkret mehr Unterstützung?
Wir freuen uns, dass es jetzt über die Stiftung Bildungspakt Bayern einen Schulversuch für weiterführende Schulen zum Thema „BNE“ mit dem Titel „Lernwirkstatt Nachhaltigkeit“ gibt. Demnächst startet auch das Projekt „Klimaschule Bayern“ durch das ISB. Ebenso gibt es einen neuen Schulversuch zum Thema „Demokratie in der Grundschule“.

Das klingt gut.
Das ist auch alles lobenswert. Aber es sind nur einzelne Bausteine. Ein Gesamtpaket, ähnlich wie beim Digitalpakt, fehlt leider. Zu einem Pakt für Nachhaltigkeit fehlt noch der politische Auftrag, der auch im Positionspapier des BLLV „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ gefordert wird. Wir wollen einen Berater für nachhaltige Entwicklung. Die Stelle sollte am Schulamt angesiedelt sein. Der Berater, der mit einem entsprechenden Stundenkontingent ausgestattet sein sollte, ist dann auch für alle Schularten zuständig, unterstützt durch einen Kooperationsschulrat. Dieses Tandem könnte flächendeckend in Bayern eingerichtet werden. Mit einem solchen Modell arbeiten wir in unserem BNE-Netzwerk hier in Passau; ganz im Sinne einer regionalen Schulentwicklung. Wichtig wäre mir auch, dass jede Schule als Grundlage für die eigene Schulentwicklung das Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat. BNE hat das Fundament jeglicher künftigen Schulentwicklung zu sein.

Herr Grabl, Sie beschäftigen sich ja schon seit Jahrzehnten mit Umwelterziehung. Gab es sowas wie ein Bekehrungserlebnis? Woher kommt Ihre Leidenschaft?
Dafür sind sicher mehrere Faktoren verantwortlich. Meine Kindheit hat da sicher eine Rolle gespielt. Meine Eltern hatten einen großen Garten mit Gemüse und Obstbäumen. Den Kindergarten habe ich eher als kleines Spielrefugium erlebt, wo wir auf wenigen Quadratmetern spielen durften. Ich war da nicht glücklich, weil ich lieber draußen in der Natur gespielt habe. Vor unserer Haustür war ein Wald, ein kleiner Bach, ein Weiher. Da haben wir Indianer gespielt und den Schatz im Silbersee gesucht. In der Lehrerausbildung hat mich mein Seminarleiter Klaus Karbaumer geprägt sowohl allgemein als auch in Bezug auf Umweltthemen. Als Lehrer in Obernzell haben wir eine „Umweltbande“ gegründet, Nistkastenaktionen und Familienwanderungen in der Natur organisiert. Später habe ich in Dillingen in der Landesarbeitsgruppe Umwelterziehung mitgearbeitet, am ISB war ich zweimal Mitglied in der Lehrplankommission G/S/E (Mittelschule). Als Fachberater für Umweltbildung und Schulleiter habe ich versucht, Umweltbildung Kopf, Herz und Hand umzusetzen; insbesondere das Thema „Naturnahe Gestaltung des Schulgeländes war mir ein großes Anliegen, mit dem Aspekt der Benutzerbeteiligung.

Wenn Sie zurückblicken auf die vielen Jahre, in denen Sie sich für eine nachhaltige Schule und eine nachhaltige Bildung engagieren, gibt es da etwas, was Sie besonders freut?
Es freut mich sehr, dass es unserer Fachberaterin für Umweltbildung und Nachhaltigkeit, Frau Michaela Würdinger-Gaidas und mir gelungen ist, innerhalb eines Jahres ein höchst engagiertes Team, ein Netzwerk hier in Passau aufzubauen, also Kolleginnen und Kollegen aller Schularten, Wissenschaftler der Uni Passau oder Prof. Dr. Harald Lesch, Vertreter aus verschiedensten Behörden oder Verbänden. Die brennen alle für den Erhalt der Natur und für eine Bildung für Nachhaltigkeit. Und ich bin dankbar für meine Mitstreiter im Amt und im BLLV, die sich aktiv für BNE einsetzen. Es freut mich sehr, dass auch der BLLV das Thema „BNE“ ganz oben auf der Agenda platziert hat. Gemeinsam können wir etwas erreichen. Da gilt besonders das Prinzip der Selbstwirksamkeit und der Spruch „Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Gerne zitiere ich da auch aus den „Amores“ von Ovid: „Felix, qui quod amat, defendere fortiter audet. – Glücklich ist der, der das was er liebt, auch wagt, tapfer zu verteidigen.“ // Das Gespräch führte Anton Gschrei



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