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Foto: Jan Roeder
Ganztag zwischen Anspruch und Machbarkeit Startseite Topmeldung
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Rechtsanspruch auf Ganztag – aber gibt es genug Plätze?

Mit dem Schuljahr 2026/2027 wird der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter eingeführt. Wie und in welcher Qualität der Ganztag dann umgesetzt werden kann, ist allerdings fraglich. BR2 "Nah dran" fragte nach bei Simone Fleischmann.

Ab dem Schuljahr 2026/2027 beginnt der Rechtsanspruch – zunächst für die Grundschulen. In jährlichen Schritten bis zum Schuljahr 2029/2030 soll der Anspruch dann in ganz Deutschland komplett und für alle Schulen erfüllt werden. Ob, wie und mit welchen Modellen sowie in welcher Qualität das gelingen wird ist mehr als fraglich. Bayern2 hat in seinem Format „Nah dran“ das Thema aktuell aufgegriffen (Abrufbar über die BR Radio App; Sendung vom 5. Juni 2025, ab 11:44 Uhr) und dazu auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann interviewt sowie Schulleiter Dr. Michael Hoderlein-Rein, BLLV-Experte und 3. Vorsitzender des MLLV.

Ganztagsbetreuung als Gemischtwarenladen?

Sorge macht mit Blick auf die Umsetzung vor allem die Vielfalt der Angebote, die nicht nur die Betreuung unübersichtlich machen, sondern auch einen Vergleich erschweren und potenziell Bildungsungerechtigkeiten weiter erhöhen. Derzeit wird in Bayern der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Schule durch ein buntes Sammelsurium von Angeboten abgedeckt, keineswegs nur durch klassischen Schulunterricht am Nachmittag. 

Auch Horte, Tagesheime, Sportangebote durch Vereine im Schulhaus, sogar eine Mittagsbetreuung, die von Müttern organisiert wird, zählen dazu. Allerdings können es sich die Eltern und Kinder meist nicht aussuchen, welches Angebot sie wahrnehmen möchten beziehungsweise, was das Beste für sie wäre. Ob ein Kind am Nachmittag in einem Spielzimmer „geparkt“ wird oder im rhythmisierten Ganztag hochwertige Bewegungs- und Förderangebote erhält, ist dem Zufall überlassen.

Die Voraussetzungen müssen einfach stimmen

Wie es momentan im Ganztag aussieht? Dazu BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: „Ich biete vieles an in einer Art Gemischtwarenladen. Auch Angebote, die vielleicht nicht alle so qualitativ hochwertig sind, aber ich decke damit den Anspruch ab. Wir im BLLV werden dann ganz genau schauen: Was passiert denn in zwei, drei oder zehn Jahren? Haben wir dann beste Ganztagsbildung in Bayern?“

Der BR geht auch an die Schule und sieht sich für den Beitrag das Thema vor Ort an: In der Grundschule Berg am Laim nimmt die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung seit Jahren zu. Inzwischen gehen 90 Prozent aller Erstklässler:innen auch am Nachmittag in die Schule. Dieser Trend bestätigt sich bayernweit, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Auf Nachfrage des BR vermeldet das bayerische Sozialministerium seit 2011 steigende Zahlen von Grundschülern, die auch nachmittags betreut werden. Bayern liegt zwar im Deutschlandvergleich am unteren Ende in der Ganztagsnutzung, doch auch im Freistaat besuchen inzwischen rund 60 Prozent aller Grundschulkinder irgendein Ganztagsangebot.

Nachfrage nimmt zu

Die städtische Grundschule Berg am Laim im Osten von München hat sich schon vor 19 Jahren auf den Weg gemacht zur Ganztagsbildung. An die 600 Mädchen und Jungen besuchen die Schule. Die allermeisten von ihnen verbringen ihre Nachmittage im Schulhaus, sagt der Rektor Michael Hoderlein. Er ist ein begeisterter Verfechter von Ganztagsbildung in der Schule. Aber nur dann, wenn die Voraussetzungen stimmen: Kantine, Rückzugsräume, Sporthallen all das kam in der Grundschule Berg am Laim erst so nach und nach dazu. „Wenn Schule Ganztagsbildungsort sein will. Dann genügt es nicht, Unterrichtsräume zu haben. Dann brauche ich Rückzugsräume, dann brauche ich Freizeitmöglichkeiten, Turnhallen, Sporthallen, eine Mensa für die Kinder, auch einen Ruheraum und auch im Freien Möglichkeiten, wo die Kinder sich austoben können, wo sie sich bewegen können, wo sie sich zurückziehen können. Die Schule soll das zweite Zuhause für die Kinder werden“, so Hoderlein.

Was in Berg am Laim Alltag ist, könnte auch bundesweit bald zur Normalität werden. Schon jetzt besuchen 1,8 Millionen Kinder in Deutschland ein Ganztagsangebot in der Grundschule. Ab dem kommenden Jahr haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule. Dieser Rechtsanspruch wird stufenweise eingeführt. Ab dem Schuljahr 2026/2027 gilt er für alle Erstklässler:innen. Ab dem Schuljahr 2029/2030 haben alle Grundschülerinnen und Grundschüler einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Aber werden ihn die Kommunen erfüllen können? Diese sind skeptisch. Das Ringen um den Ganztag geht also weiter! 

Die Potenziale guten Ganztags erkennen

Nach einer kritischen Pressemitteilung des BLLV gemeinsam mit dem Bayerischen Gemeindetag gab es im Juli 2024 erste positive Signale: Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf und Kultusministerin Anna Stolz hatten am 2. Juli verkündet: „Wir stemmen den Kraftakt Ganztagsbetreuung gemeinsam!“ Ob und wie genau dieses Versprechen erfüllt werden kann? Der Bedarf ist laut einer Prognos-Studie von 2023 in Bayern sehr viel höher als das Angebot. 67 Prozent aller Familien würden sich eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule wünschen. Simone Fleischmann:  „Ganztagsangebote müssen in Bayern ausgebaut werden, am besten hochprofessionalisierte, die beste Bildung bieten. Die politisch Verantwortlichen müssen die enormen Chancen, die gute Ganztagsschule bietet, endlich erkennen und sich mit aller Kraft dafür einsetzen! Wir werden deshalb die Entwicklung genau beobachten. Wir bleiben dran!“