Zwei Drittel von etwa 600 Schulleitungen an weiterführenden Schulen in Bayern haben BR Recherche und BR Data rassistische, sexistische oder queerfeindliche Beleidigungen gemeldet, dazu Gewalt und politische Einflussnahme. Auch der BLLV hat bei der Datenerhebung unterstützt. Denn Lehrkräfte sind im Alltag ständig mit diesen Problemen konfrontiert.
„Wenn so etwas in der Gesellschaft Thema ist, wird schnell der Ruf laut, dass wir das in der Schule doch bitte beheben sollen“, berichtet Präsidentin Simone Fleischmann und fordert: „Dafür brauchen wir aber das politische, gesellschaftliche und öffentliche Bekenntnis, dass antidemokratisches Verhalten, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit zentrale Themen für uns in der Schule sein sollen. Denn das sind sie!“
Keine Pädagog:in kann das alleine leisten
Das Kultusministerium will die Zahlen des BR nicht kommentieren und beschränkt sich auf den Verweis auf Präventionsmaßnahmen und die neue Verfassungsviertelstunde. Für Simone Fleischmann ist abwiegeln und kleinreden aber keine Lösung: „Eine Viertelstunde wird die politische Bildung und vor allem die Haltung und die Einstellung, die hinter so etwas steckt, nicht verändern. Wir brauchen da viel mehr! Nicht nur Prävention, sondern auch Intervention.“
Allerdings stoßen Pädagoginnen und Pädagogen da sehr schnell an Grenzen, wie die BLLV-Präsidentin betont: „Das können wir als Lehrerinnen und Lehrer alleine gar nicht leisten. Hier brauchen wir viel mehr Multiprofessionalität, die Zusammenarbeit mit der Polizei, Schulsozialarbeit und Jugendsozialarbeit. Nur so kann man wirklich professionell angehen, was wir in Pausenhöfen, im Netz, auf Schulwegen und in der Aula erleben.“
Menschenverachtend und gewaltbereit
Davon zeichnet der BR in seinem Funkstreifzug zum Thema ein düsteres Bild. „Hitlergrüße im Klassenzimmer“, „Parolen vom Nationalsozialismus“, Gebrauch des N-Worts und des Z-Worts „als Daily Life Sprache“ und „fast täglich rassistische ausländerfeindliche Scheiße“ geben betroffene Schüler:innen darin unter anderem zu Protokoll – fast ausschließlich mit von KI nachgesprochener Stimme, weil sie wegen der Stimmung an ihren Schulen Angst haben, erkannt und für ihre Aussagen angegriffen zu werden.
Ein als politisch links orientiert bekannter Schüler wird sogar am Telefon von einem Mitschüler zu einer Schlägerei aufgefordert, weil das die Bedingung sei, damit dieser einer rechten Chatgruppe beitreten dürfe. Auf Schulmobiliar geritzte Hakenkreuze sind an der Tagesordnung, die menschenverachtende KZ-Aufschrift „Arbeit macht frei“ wird in „Abi macht frei“ umgewandelt und als Abitur-Motto vorgeschlagen, auf Klassenfotos wird das rechtsextreme White Power-Zeichen gezeigt.
Zahlen steigen, Gründe sind offensichtlich
Die Hälfte der vom BR befragten Schulleitungen gibt an, dass diese Ereignisse in den letzten fünf Jahren zunehmen, drei Viertel ordnen sie politisch rechts ein. Für 86 Prozent hat Social Media die Probleme verschlimmert, knapp zwei Drittel sehen den gesellschaftlichen Rechtsruck als Ursache. Die Zahlen ähneln sich unabhängig von den Schularten, allerdings ist die staatliche Unterstützung an Mittelschulen deutlich schlechter.
„Das muss für Politik und Gesellschaft eine Alarmglocke sein, hier muss dringend etwas getan werden“, analysiert Simone Fleischmann. Eine solide Datenbasis sei dafür wichtig: "Wir könnten viel gezielter reagieren, wenn öffentlich bekannt wäre, was an den Schulen tatsächlich vor sich geht, und auch andere Forderungen aufstellen für Prävention, Intervention und die Zusammenarbeit mit Jugendpolizisten.“
Lehrkräfte reagieren – trotz Überlastung und Anfeindungen
Dem Vorwurf, Lehrkräfte würden solche Vorfälle selbst unter den Teppich kehren und das Thema lieber kleinreden, tritt die BLLV-Präsidentin entschieden entgegen: „An vielen Schulen herrschen Überforderung und Angst. Wenn ich merke, dass ich untergehe, weil ich zwei Klassen gleichzeitig führen muss, weil seit fünf Jahren Lehrermangel herrscht an Grund-, Mittel- und Förderschulen, dann muss ich irgendwie schauen, wie ich überhaupt durchkomme. Zudem gibt es Denunzierungsplattformen, die von manchen Parteien hier in Deutschland befürwortet und installiert werden: Wehe, du sagst was Falsches! Wehe, du sagst als Lehrerin auch nur einen falschen Satz! Wir stehen also im Feuer – mit den Herausforderungen und mit der kritischen Haltung von vielen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Lehrerinnen und Lehrern. Das macht es nicht leicht.“
Trotzdem setzen sich Lehrkräfte vehement für Demokratie und Menschenwürde ein, betont Simone Fleischmann: „Die meisten hören und schauen ganz genau hin und nehmen das in die Mitte ihres Unterrichts. Die schieben den Pythagoras beiseite und packen diese antisemitistischen Äußerungen, diese rassistischen Äußerungen in die Mitte des Matheunterrichts – obwohl es da eigentlich gar nicht hingehört.“
Haltung zählt – bei allen!
Das ist aus Sicht des BLLV aber nur der erste Schritt. Denn demokratisches Handeln und ein Verständnis für konstruktives Zusammenleben in einer Gemeinschaft lassen sich nicht theoretisch erlernen. Sie müssen erlebt und eingeübt werden in einem Schulalltag, der von Partizipation und Eigenverantwortung geprägt ist: „Dafür brauchen wir nicht nur mal eben eine Verfassungsviertelstunde oder mal ein Projekt, das ‘nice to have‘ ist, wo wir das abhaken können“, stellt BLLV-Präsidentin Fleischmann klar. „Sondern dann müssen wir unsere Haltungen reflektieren! Mit den Schülerinnen und Schülern, mit der Kommune, mit der Region, mit den Eltern und mit allen Lehrerinnen und Lehrern. Das ist eine richtige Schulentwicklungsaufgabe.“
Wenn sich also an den geschilderten Zuständen in den Schulen wirklich etwas ändern soll, müssen sich alle daran beteiligen, denen das wichtig ist – damit Lehrkräfte das tun können, was die Verfassung vorsieht: „Wir müssen klare Kante zeigen“, betont Simone Fleischmann. „Wir als Lehrerinnen und Lehrer und als Schulleiterinnen müssen jeden Fall wahrnehmen, anzeigen und nachvollziehen: Was ist passiert, was steckt dahinter? Was ist an meiner Schule los? Das geht aber nur, wenn Politik und Gesellschaft uns dafür Rückendeckung geben!“
» zum Bericht des BR: „Hitlergruß im Klassenzimmer: Rechtsextreme Vorfälle an Schulen“
» BR-Funkstreifzug: „Setzen rechts: Wie rechte Vorfälle den Schulfrieden in Bayern bedrohen“
Rechtsextremismus an Schulen
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Wir müssen klare Kante zeigen – und brauchen dafür Unterstützung!
Laut Recherche des Bayerischen Rundfunks mit Kooperation des BLLV verzeichnen zwei Drittel der Schulen in Bayern immer mehr demokratie- und menschenfeindliche Vorfälle. BLLV-Präsidentin Fleischmann fordert bessere multiprofessionelle Unterstützung.